Seite 13

Seite 13

“Arachnophobie" oder "Die Riesen-Spinne”


Ich leide an Arachnophobie, habe also Angst vor Spinnen, kann sie aber auch nicht erschlagen - weil ich ja Angst vor ihnen habe.


Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber jemand hat mal behauptet, dass frau entweder Angst vor Spinnen hätte - oder Angst vor Mäusen. Vor Mäusen habe ich im Gegensatz zu Frieda keine Angst.


Jedenfalls träumte mir, es würde eine Riesen-Spinne von mindestens 50 cm Durchmesser neben mir auf meinem Kopfkissen sitzen.


Mit einem Schrei: “Schlag’s tot! Schlag’s tot” weckte ich meinen zweiten Mann aus tiefstem Schlummer. Ob er das Licht anmachte oder ich - keine Ahnung.


Jedenfalls war da nichts. Er sah nichts, was er als mein Lebensretter hätte erschlagen können. Ich sah nichts. Obwohl ich das Kopfkissen und die Bettdecke drehte und wendete - und suchte und suchte.


Da war keine Spinne! Noch nicht mal eine klitzekleine!


Irgendwann war ich dann auch restlos davon überzeugt ... und schlief weiter. Was für eine Nacht!





1971 - 1974


Anfang April 1971 heirateten H. und ich auf dem Standesamt in Bad Kreuznach. Seine Schwester und sein Schwager waren die Trauzeugen, wir gingen zusammen nach der Trauung zum Mittagessen in ein Restaurant und fuhren dann gemeinsam nach L. zu seinen Eltern, wo am Abend eine kleine Familienfeier stattfinden sollte.

Und wer klingelte an der Haustür? Meine Eltern! H.’ Eltern hatten sich mit den meinen in Verbindung gesetzt und sie ohne mein bzw. unser Wissen eingeladen. Frieda war so großzügig, dass sie mir ein Hochzeitsgeschenk machte: ein Paar Topflappen. Da hätte ich gut darauf verzichten können!


Ein paar Tage vor unserer Heirat hatten wir eine neue, nun gemeinsame Wohnung in einer Hochhaus-Siedlung am Rande von Bad Kreuznach bezogen. 2 1/2 Zimmer, Küche, Bad. Schlecht geschnitten. Es sollte mehr Architektinnen geben!


Ich hatte ein Polsterbett, einen Kleiderschrank, eine (erdbeerrote) Couch, eine Kommode und Küchenschränke; H. hatte auch einen Kleiderschrank, einen Wohnzimmerschrank und einen runden Tisch, dessen Tischplatte höhenverstellbar war; eine weitere Couch wurde von H.s Eltern beigesteuert. Irgendwann kauften wir uns einen Kühlschrank und ein Sideboard. Herd war in der Küche vorhanden.


Wir wohnten im 6. Stockwerk, natürlich mit Fahrstuhl (der sogar meistens funktionierte).


Es gab drei Hochhäuser in dieser Siedlung, mit sechs Eingängen. Also - eigentlich waren es sechs Hochhäuser, von denen aber jeweils zwei eine Einheit bildeten. Inmitten dieser Ansammlung von Hochhäusern gab es einen großen Parkplatz mit einer Haltestelle des ÖPNV.


Kommunikationszentrum war - klar - die Kneipe! Außerdem gab es einen kleinen Supermarkt mit Metzgerei.

Für neu Zugezogene gab es nur eines, um Nachbarn kennen zu lernen: ein Kneipenbesuch.

Wir setzten uns an die Theke und kamen ins Gespräch mit einem Herrn, der fragte, ob wir denn schon Kontakte geknüpft hätten.

H. erzählte, dass ihm des öfteren eine kleine, blonde Frau im Fahrstuhl begegnen würde, die zwar ihn - aber nie seine Frau (mich) - grüßen würde. Er hätte den Eindruck, dass sie ihn anmachen wolle.

Wir quatschen noch ein bisschen und gingen dann nach Hause.


Ein paar Tage später waren wir wieder in der Kneipe - und eine wütende, sehr aufgebrachte kleine blonde Frau kam herein und erzählte der Wirtin: “Stell Dir mal vor: Da hat doch einer meinem H. erzählt, ich ...”


Der Herr war aus Österreich, sie auch. Er war Steuerflüchtling und lebte im Prinzip mit ihr zusammen. Manchmal kamen auch seine Frau und seine  Kinder zu Besuch. An solchen Tagen musste die Freundin in ihrer eigenen Wohnung bleiben.


Ich glaube, sie hatte nie erfahren, dass mein Mann dies ihrem Freund, Partner, erzählt hatte, denn wir hatten jahrelang ein gutes Verhältnis zu ihnen. Bis ... Aber das gehört in ein anderes Leben.


Neben uns wohnte eine ältere Schwäbin, die immer von ihrem “Fritzi” erzählte, ihrem schon lange verstorbenen Mann. Ihr Sohn war Lehrer in Kiel. Sie machte wunderschöne Handarbeiten, und sie animierte mich dazu, Kunststrickdecken zu fertigen. Jede Frau in meiner Familie und in meinem Bekanntenkreis hatte eine - nur ich selbst nicht. Aber so ist das wohl meistens. Heute mache ich solche aufwändigen Decken nicht mehr, denn deren Aufspannen und Stärken auf dem Boden wäre mir jetzt mit meinem Rückenleiden unmöglich.


Heiko war auch in meinen vorherigen Wohnungen immer mal wieder an den Wochenenden zu Besuch gekommen, aber nun war es doch einfacher, wo wir ihm ein Gästezimmer bieten konnten. Es bürgerte sich ein, dass er alle zwei Wochen zu uns kam. Und mit H. verstand er sich gut.


Wir kauften uns einen gebrauchten Käfer.

Unsere erste größere Tour führte uns im Herbst 1971 nach Burgund.


Ich hatte einen Roman gelesen, dessen Handlung teilweise in der Nähe von Beaune angesiedelt war. Da wollte ich hin!

So eine Fahrt habe ich nie mehr gemacht und würde sie auch keinem raten; es war schrecklich! Aber man lernt ja aus seinen Fehlern - oder sollte es zumindest.


Oder wie Dale Turner sagte: "Die besten Lektionen erteilen einem die Dummheiten von früher.  Der Fehler der Vergangenheit ist die Weisheit der Zukunft."


Bisher war ich immer nur tagsüber mit dem Auto unterwegs gewesen. Aber nun fuhren wir am Freitagabend direkt nach Arbeitsschluss los. Und es gab nicht, wie heute,  Navigationsgeräte, die einem den Weg aufzeigen. So mussten wir uns unseren Weg alleine mit Hilfe von (schlechten) Straßenkarten suchen. Dann kamen auch noch Großbaustellen und Umleitungen. Ach ja - zu allem Unglück fing es irgendwann an, in Strömen zu regnen; und ich bemerkte zum ersten Mal, dass ich des Nachts beim Autofahren ein blindes Huhn bin, erst recht bei solchem Wetter.


Irgendwann gegen Mittag waren wir an unserem Ziel angelangt. Geschlafen hatten wir nicht, und taten das auch nicht, denn wir wollten ja etwas sehen. Also suchten wir uns ein Hotel und machten uns danach an die Erkundung von Beaune. Bei unserem Stadtrundgang entdeckten wir auch ein Restaurant, das uns zusagte, sprich: nicht zu teuer für unsere Geldbörse war. Und wir hatten einen Glücksgriff getan; noch heute denke ich gerne daran zurück. Es schmeckte uns so gut, dass wir noch einige Male in diesem Restaurant aßen, auch mit Freunden, denen es genauso gut mundete wie uns. Aber davon berichte ich später.


Ich kann mich an unser erstes Menü in Frankreich noch gut erinnern: Als Vorspeise hatten wir Petersilienschinken gewählt, dann Forelle - und danach waren wir eigentlich schon gesättigt. Aber wir hatten ja ein 4-Gänge-Menü gewählt; jedoch nur dieses Mal und nie wieder. Danach gab es einen Riesentopf mit Boeuf Bourguignonne - einfach köstlich! An den Nachtisch kann ich mich gar nicht mehr erinnern, sicher hatten wir Käse. Wir waren so richtig pappsatt!


Am nächsten Tag, Sonntag, fuhren wir ein bisschen durch die  Gegend, und dann gegen Abend wieder Richtung Heimat. Und es wurde ganz schlimm! Nebel! Nebel! Nebel! Manchmal war ich nahe daran, am Steuer einzuschlafen durch das eintönige Geräusch und das ständige Hin und Her der Scheibenwischer. Ich weiß nicht mehr, wann wir endlich zu Hause ankamen; aber sicher hatten wir nur wenig Zeit zum Schlafen, bevor wir  wieder zur Arbeit mussten.


Aber Beaune hatte uns so gut gefallen, dass wir auf unseren späteren Fahrten nach Südfrankreich immer dort Station machten.


H. machte seinen Führerschein.

Wir kauften uns ein großes Zelt und machten im Frühling Urlaub in Südfrankreich, auf einem Campingplatz zwischen St. Tropez und Ramatuelle. St. Tropez kennt jeder, in Ramatuelle war ein Wohnsitz des Fotografen David Hamilton. H. hatte dort einmal mit Freunden Urlaub gemacht;  es hatte ihm so gut gefallen, dass er wieder dort hin wollte.


Viele Jahre lang verbrachten wir dort unsere Urlaube. Erst allein; 1974, als mein Vater gestorben war, nahmen wir (leider) auch einmal Frieda und Heiko mit; dann mit meinem Sohn Heiko, der seit 1976 bei uns lebte; einmal wurden wir von H.s Eltern und seiner Schwester, die mittlerweile geschieden war, begleitet. Mit ihnen waren wir vorher ein paar Tage in Arles und besuchten auch Les Baux.


Jedesmal machten wir Station in Beaune, aßen Abends in “unserem” Restaurant, und allen schmeckte es. Aber nur ein einziges Mal schafften wir die große Menge an Boeuf bourguignonne: Als Heiko sich in seiner pubertären Fressphase befand. Anders kann man es nicht nennen.


H. war schon einige Jahre Mitglied des Schützenvereins Bingen, ging aber nur selten  hin und war kein aktiver Schütze. Ab und zu begleitete ich ihn. Dann kam  eines Tages ein Rundschreiben des Vereins: Sie wollten eine Abteilung für Bogenschießen gründen, und wer Interesse hatte, war zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Ich war sofort Feuer und Flamme, mein Mann wollte zu diesem Treffen nicht mitkommen.


Ich meldete mich an für diese Abteilung. Ein “Schützenbruder”, der früher einmal diesen Sport betrieben hatte, fungierte als Ausbilder. Ein anderer, der in Bingen ein Sportwarengeschäft hatte, besorgte uns das nötige (gar nicht so preiswerte) Equipment, und es konnte los gehen.


Mittlerweile hatte sich auch H. entschieden, mit zu machen. Aber er ließ es wieder sein, als sich herausstellte, dass ich besser war als er. Er schloss sich statt dessen den Pistolenschützen an.

Bei den Bogenschützen wird im Sommer im Freien über vier Distanzen (70 - 50 - 25 - 18 m bei den Damen, 90 - 70 - 25 - 18 m bei den Herren) geschossen, und so ein Turnier dauert dann den ganzen Tag; im Winter in der Halle geht es nur über zwei kurze Distanzen (18 und 25 m).


Wir lebten also praktisch im Schützenverein; besonders, nachdem der Vorstand mich als Schriftführerin, und damit Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes einsetzte.


Am Mittwoch spielten wir bei und mit H.s Eltern Skat.


Ich kann sagen, dass wir in diesen ersten Jahren unserer Ehe ein mit seinem Leben zufriedenes Ehepaar waren.


Mein Bruder Gernot hatte uns eingeladen, ihn im Hotel “Savoy” in Arosa zu besuchen. Nach Absprache mit dem Geschäftsführer-Ehepaar während einer gästearmen Zeit und zum halben Preis, von dem er, Gernot, wiederum die  Hälfte übernehmen wollte.

Ende Januar/Anfang Februar war es soweit. Ich hatte mir für unsere Exkursion neue “Moonboots” angeschafft, ansonsten fühlten wir uns gerüstet. Und für die Fahrt ins Schneeland waren wir mit dem Käfer gut ausgestattet, besser als mit manch anderem Fahrzeug. Für alle Fälle hatten wir uns beim ADAC Schneeketten ausgeliehen.


Wir hatten mit meinem Bruder  einen Treffpunkt vereinbart: Marktplatz, Café ...

Fast alles klappte; jedenfalls bis zu unserem Treffen am Marktplatz. Wir tranken etwas in einem Café mit Gernot und einigen Freunden/ Arbeitskollegen von ihm, dann fuhren wir zum Hotel und checkten ein.


Gegen Abend - es schneite und schneite und schneite - wollten wir trotzdem ein bisschen durch den Ort laufen, aber ich fand meine neuen Boots nicht. Also vermuteten wir, dass sie noch im Auto wären. Wir gingen Richtung Parkplatz, ich auf Socken! H. ging zum Auto, fand meine Stiefel nicht ... und brachte aus Verzweiflung ein Paar seiner Schuhe mit, die im Auto vergessen worden waren.


Stellt Euch die Situation vor: ICH stehe nur mit Strümpfen an den Füßen (Löcher hatten sie keine!) am Eingang eines 5-Sterne-Hotels neben dem Wagenmeister - und mein Mann bringt mir ein Paar seiner Schuhe!!! Wenn das jemand in einen Film einbauen würde, würde man es für sehr übertrieben halten. Aber genau so war es!

Meine Boots übrigens standen zu Hause.


Erst mal fiel der Spaziergang aus, und wir setzten uns in die Bar, wo uns die Chefin entdeckte - und zu einem privaten Kartenspiel (Rommé? Canasta?) mitnahm. Und die anderen Bar-Besucher zerbrachen sich den Kopf, wer wir nur sein könnten, dass sich die Chefin persönlich um uns kümmert.


Am nächsten Morgen dann befragte Gernot seine Kolleginnen, welche die gleiche Schuhgröße habe wie ich und mir ein Paar Schuhe leihen könne. Im Prinzip wären alle dazu bereit gewesen - aber am besten passten mir die Stiefeletten seiner damaligen Freundin Gudrun. Problem gelöst.


Arosa war traumhaft! Wenn es nicht gerade schneite. Es lag meterhoher Schnee, alles war weiß bedeckt. Richtig schön! Und da nirgendwo die Wege und Straßen gestreut werden, blieb das auch so. Einfach herrlich!

Wir spazierten jeden Tag durch den Ort; oft zur Eisbahn und schauten den Eisläufern zu. Einmal fuhren wir mit der Bergbahn zum Weißhorn hinauf - und gingen ins Tal hinunter.


Wir hatten mit Gernot und Gudrun vereinbart, an seinem freien Abend uns vom Hotel-Kleinbus zu einer Hütte fahren zu lassen, Schlitten mitzunehmen und dann nach Käsefondue und dazu passenden Getränken mit den Schlitten zu Tal zu fahren.


Nur hatte sich Gernot schon am Nachmittag sinnlos besoffen und war dazu nicht mehr in der Lage. Und ich war sowas von böse darüber!, dass ich ihm vorm Hotel eine ordentliche Standpauke hielt und ihn wüst beschimpfte.


Wir machten den abendlichen Ausflug dann ohne ihn; nur H., ich und Gudrun; aber die Stimmung war doch sehr gedämpft.


Zwei Tage später mussten wir wieder nach Hause fahren. Diese Missstimmung unter uns hielt an, bis er um Geld bat, weil er Gudrun die besagte Abtreibung bezahlen wollte/musste.


Es muss im Sommer 1973 gewesen sein, als uns Pam, Bill, Neil und Karen in Bad Kreuznach besuchten, denn wir waren zumindest einmal mit meinem Vater zusammen unterwegs, und zwar zur Marksburg. Und es war Mitte August, denn wir waren zusammen auf dem Jahrmarkt (und Bill ging es am nächsten Tag nicht ganz gut).


Es ist natürlich eine große Umstellung, wenn man normalerweise nur mit zwei Personen in einer Wohnung ist, nun weitere vier zu beherbergen. Aber es war machbar.


Pam und Bill bekamen unser Schlafzimmer, genau so, wie wir auch ihres, wenn wir bei ihnen zu Besuch waren.

Neil und Karen schliefen im Gästezimmer auf der Schlafcouch, und wir, mein Mann und ich, benutzten im Wohnzimmer die Schlafcouch.


Wir kochten all das, von dem wir dachten, es wäre etwas Besonderes. Erstaunlicherweise machte am meisten Eindruck: mein Nudelauflauf mit Hackfleisch. Pam ließ sich davon das Rezept geben und erzählte später dann, dass sie den an jeder Geburtstagsfeier zubereiten würde, und dass alle das Rezept haben möchten.


Ich nenne das: kulinarische Völkerverständigung, und sie ist mir immer mal wieder begegnet.


Woran wir nicht gedacht hatten, dass das ein Problem darstellen könnte: Toilettenpapier. Da ist ja der Verbrauch eben dreimal so hoch wie normal. Jedenfalls mussten wir eines Abends feststellen, dass keines mehr da war. Die Geschäfte hatten schon geschlossen; es war ja nicht wie heutzutage, wo Supermärkte bis 24 Uhr geöffnet haben. Aber die Kneipe hatte noch geöffnet. Also gingen wir mit unseren Gästen noch ein Bier trinken ... und H. und ich stahlen jeder einen Pack Toilettenpapier, um bis zum nächsten Tag über die Runden zu kommen.


Ich arbeitete nun in der gleichen Firma wie H., zuerst in der Patentabteilung, wo es mir gar nicht gefiel; dann als Sekretärin im Weinlabor.


Hier erreichte mich auch 1974 die Nachricht vom Tod meines Vaters. Meine Kollegen bzw. Kolleginnen flößten mir erst mal etwas Hochprozentiges ein. Der Abteilungsleiter  führte gerade einen Lehrgang über neue Untersuchungsmethoden für Wein durch; er wurde unterrichtet und beurlaubte mich so lange wie nötig, also unbefristet. Mein Mann kam und wir fuhren zu Frieda.






zurück zum Inhaltsverzeichnis