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Kindermund tut Wahrheit kund


In Bad Kreuznach wohnte eine Kollegin aus der Patentabteilung ganz in unserer Nähe. In ihrem Haus wohnte ein etwas merkwürdig aussehender Herr mit seiner Familie: Lange, lockige silbergraue Haare, aber eine große Tonsur. Wir kannten ihn auch vom Sehen.


Meine Kollegin hatte öfter mal Besuch von ihrem Enkel, so ca. 4 Jahre alt. Einmal trafen sie in der Adventszeit besagten Herrn im Keller.


Der kleine Vierjährige stellte sich vor diesen Herrn, musterte ihn eingehend vom Kopf bis zu den Füßen und zurück und stellte dann die Frage: “Bist Du der Weihnachtsmann?”





1981 - 1985


1981 war es, dass Heiko sich für die Deutschen Meisterschaften qualifiziert hatte.

Wir verbrachten in diesem Sommer unseren Urlaub in Ostfriesland, in Ostrhauderfehn. Dort hatten wir uns in einem Privatquartier eingemietet. Und wir hatten sehr viel Spaß dort. Wir hatten aber auch Glück mit unseren Vermietern.

In dem kleinen Fernsehgerät in unserem Zimmer schaute ich mir die royale Hochzeit von Lady Diana Spencer und Prince Charles an, während meine Männer derweilen in einem Museum waren.


Heiko wollte natürlich wegen der anstehenden DM weiter im Training bleiben und ging zum örtlichen Schützenverein. Nur: Die Trainingsmöglichkeiten waren sehr begrenzt, das war nicht das Wahre. Als der Besitzer eines Hotels / einer Gaststätte, wo wir ab und zu zum Abendessen waren, davon erfuhr, bot er uns an, dass Heiko auf seinem Schießstand jeden Vormittag trainieren könne, und wir könnten, wenn wir wollten, während dieser Zeit unentgeltlich die Kegelbahn benutzen. So ging nun Heiko fast jeden Morgen dort hin. Aber gekegelt haben wir nie.


Außer Heiko (in der Altersklasse “Jugendliche”) hatte sich noch eine “Schülerin” unseres Vereins für die DM qualifiziert. So fuhren wir also an einem Freitagmorgen los Richtung München, wo auf der Schießanlage der Olympiade 1972 in jedem Jahr die DM stattfindet, begleitet auch vom Jugendtrainer.

In einer Pension nicht sehr weit von der Schießanlage hatten wir Zimmer bekommen. Am Samstag mussten die Beiden ihren Wettkampf austragen.

Nachdem wir die Pension gefunden hatten (auch Navis gab es damals noch nicht), machten wir uns erst mal auf den Weg zur Schießanlage, damit wir wussten, wie wir ihn am nächsten Tag erreichen konnten. Danach machten wir eine kleine Stadtführung für die Jungen und aßen eine Kleinigkeit.

Ich war seit 1959 nicht mehr in München gewesen. Aber ich wusste noch, dass mich damals die Theatiner-Kirche am meisten beeindruckt hatte. Das wollte ich überprüfen - sie gefiel mir immer noch so gut. Auch die kleine Schützin, die mit mir hinein gegangen war, zeigte sich beeindruckt. Wogegen das Hofbräuhaus, das alle natürlich auch sehen und begucken wollten, eher keinen großen Eindruck auf sie machte. In der Nähe der Theke, wo wir uns zuerst hinsetzen wollten, konnten wir es wegen des Gestanks schon gar nicht aushalten.

Die Sportler blieben am Abend in der Pension, wir Erwachsenen fuhren mit der U-Bahn nach Schwabing. Jedoch wir hatten den Beiden schon versprochen, dass sie am nächsten Tag, nach ihren Wettkämpfen, mit in die Stadt dürften. So hielten wir auch schon Ausschau nach einem Restaurant für uns alle.


Die kleine Schülerin landete “unter ferner liefen”, das Ergebnis von Heiko, wie schon erwähnt: 15. Platz.


Am Abend also dann Schwabing für Alle. Die Kleine war besonders fasziniert vom U-Bahn-Fahren; so etwas gibt es ja auch in Bingen nicht.


Sie lebte bei ihren Großeltern und war noch nicht weit herum gekommen.


Am Sonntag dann wieder die Rückreise; ich war total müde. Deshalb ließ ich die beiden Männer fahren.


Irgendwann einmal fragten wir Frieda, ob wir eine der alten Petroleum-lampen, die es im Haus in Steinhardt gab, bekommen könnten. Ihre Antwort: “Nein, die sind alle für Gernot, die müssen im Haus bleiben.” Noch nicht einmal die geringste Kleinigkeit wollte sie ihrem Sohn vorenthalten (oder uns zukommen lassen).


Durch Heikos “Ehrenrunden” in der Schule war er schon 18 Jahre alt, als er sie mit Abschluss der Mittleren Reife beendete. Was fehlte, war eine Lehrstelle. Eigentlich wollte er gerne etwas in Richtung Elektriker machen. Aber wo er sich auch bewarb, er bekam überall Absagen. Also machte er auf Anraten des Arbeitsamtes noch ein Berufsförderungsjahr in Richtung Elektrik/Elektronik.


Doch dann fand er ganz unerwartet eine äußerst begehrte Lehrstelle, um die ihn viele beneideten: Zahntechniker. Noch dazu in einem Labor ganz in der Nähe unserer Wohnung. Einziger Wermutstropfen dabei: Die entsprechende Berufsschule war in Koblenz.

Gar nicht so recht passend erschien mir, dass er sich mit einem anderen Auszubildenden befreundete, dem Sohn eines Chefarztes des Diakonie-Krankenhauses, offensichtlich homosexuell. Ich habe beileibe weder etwas gegen Chefärzte oder Söhne von Chefärzten oder Homosexuelle. Aber wenn man, wie Heiko damals, mit den großen Hunden pinkeln möchte, dann sollte man schon das Bein hoch heben können.

Er fand es sehr schick, zu Festen im Haus der Eltern des Freundes eingeladen zu werden, oder auch zu Aufenthalten auf der Yacht des Vaters. Das war interessanter für Heiko als alles, was wir ihm bieten konnten. Vielleicht muss jeder mal durch so eine Phase durch.


Wir hatten im Schützenverein die Bekanntschaft eines US-amerikanischen Ehepaares aus Texas gemacht. Die Frau war deutschstämmig und die Schwester der Freundin eines Schützenfreundes. Sie luden uns ein, sie zu besuchen. Dieses Angebot nahmen wir dann im Mai/Juni 1983 an. Wir hatten meinem Sohn angeboten, uns zu begleiten, aber er wollte nicht mit.


Heiko, der mittlerweile seinen Führerschein hatte, brachte uns in seinem alten Auto, das er sich gekauft hatte (ich sollte besser sagen: das man ihm angedreht hatte, auch das muss wohl jeder mal erleben), zum Flughafen nach Frankfurt. Auf dem Rückweg gab das Auto seinen Geist auf; zum Glück erst da.

Er  und ein älteres Nachbars-Ehepaar kümmerten sich um unseren Yorkshire. Mit Heiko telefonierten wir regelmäßig.


Sechs Wochen waren wir dort in der Nähe von Houston. Wir haben eine Menge gesehen: San Antonio, Corpus Christi, Padre Island, Huntsville, San Jacinto, Houston.


Am besten gefiel es uns bei einer anderen deutschen Familie, bei der wir in der Nähe von Huntsville auf dem Land ein paar Tage zu Besuch waren. Mit denen waren wir zum Catfish-Angeln, wobei ich mir einen gehörigen Sonnenbrand holte; und dann mussten wir wieder zurück zu unseren Gastgebern.


Was mir gar nicht gefiel, war deren immer noch andauernder Rassismus. John erzählte, dass sein Großvater noch Sklaven hielt,  die bei ihrer Freilassung als Familiennamen den ihrer früheren Besitzer bekamen. Er sagte: “Wenn ich einmal einen Farbigen (er hat sich nicht so korrekt ausgedrückt) treffen würde, der meinen guten Namen trägt, würde ich ihn erschlagen!”


Sie fuhren mit uns auch in ein Indianer-Reservat und waren ganz erstaunt, dass es mir dort nicht gefiel. Aber das kam mir vor, wie Tiere im Zoo zu betrachten; nur betrachteten da Menschen andere Menschen. Wie schauten mich unsere Gastgeber an, als ich meinem Entsetzen Ausdruck verlieh, dass doch diesen sogenannten Indianern einmal der ganze Kontinent gehört hatte, und wie wenig ihnen geblieben sei.


Man bot uns trotzdem an, für uns zu bürgen, wenn wir in die USA auswandern wollten. Mir hätte das damals gefallen; H. eigentlich auch. Doch als wir dann wieder in Deutschland waren, und H. seinen Heimatort wiedersah, da lehnte er die Auswanderung entschieden ab. Er konnte sich nicht vorstellen, ohne den  sonntäglichen Frühschoppen, ohne sein gewohntes Umfeld zu sein.


Nun ging ich auf die vierzig zu, noch immer hatte sich kein Nachwuchs eingestellt, und noch immer war mein Mann deswegen nicht beim Arzt gewesen.

Sein Vater, dem ich einmal mein Leid klagte, bot an, mit ihm darüber sprechen, aber ich lehnte ab. Denn das hätte sicher keinen Zweck gehabt, im Gegenteil.


Ich verweigerte mich meinem Mann sexuell.


Auch mit guten Bekannten (sie war Niederländerin, er bei der US-Army, Farbiger, Freimaurer, und der schönste Mensch, der mir je begegnet ist) sprach ich darüber. Aber was sollte ich tun?


Im Mai 1984 beendete mein Chef, der Verwaltungsleiter des Krankenhauses, sein Berufsleben. Vorher hatte ich ihm geholfen, einen Nachfolger auszuwählen.

Man sollte er nicht glauben, was sich da für Leute befähigt hielten, diesen Posten ausüben zu können!

Die spektakulärste Aussage für mich war die eines Herrn, der seine Bewerbung und Befähigung für diesen Posten damit begründete, dass er schon mal als Patient im Krankenhaus war, weil er am Blinddarm operiert werden musste.

Diesen Herrn wählten wir nicht aus!


Sondern die Wahl fiel auf einen Dipl.-Oekonom, mit dem ich mich zum Glück sehr gut verstand. Da er gerade erst sein Studium beendet hatte, war ihm das praktische Berufsleben vollkommen fremd, und ich half ihm, sich in der Praxis zurecht zu finden.


Es dauerte nicht lange und ich lernte auch seine Frau kennen, und des öfteren trafen wir alle uns auf ein Bier oder zum Skatspiel. Die Beiden kamen auch mit zum Schützenverein; sie schoss Gewehr, er Pistole. Sie hatte eine leichte Behinderung am rechten Arm und durfte daher ihr Gewehr in eine Schlinge legen.

Solche Dinge waren bei Schützen noch nie ein Problem; ich schoss auch schon mal auf Turnieren gemeinsam mit RollstuhlfahrerInnen.


Alles schien also in bester Ordnung zu sein.

Zumal ich von meinem neuen Chef in jeder Beziehung gefördert wurde. So fuhr ich zu mehreren EDV-Kursen, da nun auch im Krankenhaus diese neue Technik Einzug halten sollte; zuerst in der Buchhaltung. Im Gegensatz zu der älteren Buchhalterin hatte ich keinerlei Berühungsängste gegenüber der neuen Technik, im Gegenteil: Ich fand sie faszinierend.


Wenn diese Dame ihre Eintragungen per Computer machte, geschah dies so, dass sie an Tastatur und Bildschirm sass, eine zweite Dame neben ihr, die ihr die Daten, die einzutippen waren, vorlas - und sie gab sie ein. Wenn ich diese Arbeit ganz alleine machte, wie es ja auch sinnvoll ist, dann wurde ich schon mal gefragt: “Und Sie haben gar keine Angst vor dem Computer?” Worauf ich antwortete: “Warum denn auch? Er hat mich noch nie gebissen.”


Nur eine Abend-Einladung zu meinem Chef und seiner Frau verlief nicht ganz wie gewünscht. Wir hatten auf ihren Wunsch hin unseren Yorkshire mitgebracht. Sie hatten auch einen Hund, der sich auf unseren stürzte und sich in ihm verbiss. Wir hatten große Mühe, die beiden Hunde zu trennen. Zum Glück war nichts Schlimmes passiert.

Allerdings verabschiedeten wir uns daraufhin schon bald danach.


Ich hatte an meiner Arbeitsstelle ja auch die Verwaltung des Zentrallagers und den Einkauf inne, die ich erst mal auf eine Grundlage gestellt hatte. Vorher hatte fast jede Abteilung bzw. Station für sich eingekauft, was natürlich ein Unding ist.

So kam es z. B. bei einer Anfrage an das OP, ob sie Zellstoff benötigen (da ein Hersteller ein gutes Angebot gemacht hatte) zu dieser Aussage der leitenden OP-Schwester: “Nein, danke, wir haben vor 7 !!! Jahren einen Posten Zellstoff aus einem Angebot gekauft und sind noch reichlich versorgt.” Das nenne ich doch mal sparsames Wirtschaften!


Jedenfalls trat die Situation ein, dass wir aufgrund einer Gesetzes- oder Vorschriften-Änderung vor der Frage standen: Sollen wir die hauseigene Wäscherei komplett umbauen, oder beauftragen wir in Zukunft eine externe Wäscherei. Die zweite Lösung erschien uns die bessere.

Da in der Nähe meiner/unserer Wohnung sich eine Wäscherei befand, war diese erstmal die erste Anlaufstelle. Ich ging hin, schilderte einer Angestellten unser Vorhaben; sie gab die Anfrage an den Chef weiter, und der rief mich an und lud mich für einen der nächsten Tage zu einem geschäftlichen Abendessen ein - alles ganz normal.

Wir beredeten das Ganze, und er schickte ein Angebot. Seine Wäscherei befand sich in Bad Kreuznach.


Eine zweite Wäscherei, die wir ins Auge gefasst hatten, lag weiter weg, im Hunsrück. Aber sie hatten Erfahrung mit Krankenhäusern. Mein Chef und ich fuhren dort hin, wir wurden zum Mittagessen eingeladen und redeten über alles.


Dann bekam ich einen Anruf von dem ersten Wäscherei-Herrn, der mir folgendes sagte: “Wenn Sie mir den Auftrag zuschieben, dann werde ich Ihnen einen großen Stein in den Garten werfen.”

Das war einwandfrei der Versuch der Bestechung - und somit hatte sich dieser Herr selbst aus dem Rennen geworfen.


Ich hatte nichts dagegen, schon mal eine Flasche Wein oder Sekt, oder einen Kugelschreiber, oder ähnliches anzunehmen; das alles teilte ich immer redlich mit meinem Chef. Aber das, was dieser Herr da versuchte, das ging mir doch gegen die Hutschnur; er hätte von mir diesen Auftrag nie bekommen.


1985 feierte ich meinen 40. Geburtstag mit einem größeren Fest in einem Lokal nicht allzu weit von unserer Wohnung. Ich hatte den gesamten Geschäftsführenden Vorstand des Schützenvereins eingeladen, meinen Chef und seine Frau; warum meine Schwiegereltern nicht dabei waren, weiß ich heute nicht mehr. Heiko  holte Frieda aus Steinhardt und fuhr sie auch wieder zurück. Meinen Bruder  hatte ich auch eingeladen; er konnte aber nicht kommen, rief nur spät am Abend an.

Ein schönes Fest!


Und dann kam das Krankenhaus in finanzielle Schwierigkeiten. Die Finanz-Situation des Hauses war noch nie sehr rosig, aber jetzt mussten dringend Sparmaßnahmen ergriffen werden, sprich: Personal wurde entlassen.

Mir wurde auch gekündigt. Ich konnte es nicht fassen! So einfach wollte ich das nicht hinnehmen und verlangte zumindest eine Abfindung. Da mir die verweigert wurde, ging ich zu einem Rechtsanwalt, der die Aufhebung der Kündigung verlangte. Obwohl ich bezweifelte, dass ich dann in dem Krankenhaus ein angenehmes Leben gehabt hätte; aber der Anwalt meinte, wir könnten in dem Fall auch eine Wiedereinsetzung in die bisherige Stelle erstreiten. Aber dauernd streiten?


Jedenfalls machte dann einen Tag vor dem bereits angesetzten Gerichtstermin das Krankenhaus einen Rückzieher, weil sie wussten, dass ich Recht bekommen würde, und bot mir eine Abfindung in der von mir geforderten Höhe an. Ich nahm an, gegen die Meinung des Anwaltes.


Also war ich jetzt erst mal arbeitslos; und mit vierzig eine neue Stelle finden, das war auch damals nicht so einfach. Tatsächlich wurde ich bei einigen Firmen abgewiesen, weil ich zu alt sei.


Zum damaligen Zeitpunkt hatte die Wirtin der Schützenhaus-Gaststätte gekündigt, und ich bot an, diese Arbeit erst einmal zu übernehmen; solange ich arbeitslos war, solange sich niemand anderes fand.

 

 






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