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Die ängstliche Frieda


Frieda hatte eine Heidenangst vor Mäusen. Das wusste ich sogar schon als ganz kleines Kind.


Einmal, so wurde oft erzählt, fühlte sie sich nicht wohl und legte sich zu Bett. Und ich, damals so ca. 3 Jahre alt, soll zu ihr gegangen sein und gefragt haben: “Biste krank oder haste  Mäus-Ängschd?”


Diese Angst blieb ihr. Als ich schon zum ersten Mal verheiratet war und im Obergeschoss meine Küche hatte, passierte es in der Vorweihnachtszeit, dass Frieda beim Plätzchenbacken war und eine Maus durch ihre Küche huschte.


Frieda packte all ihre Backzutaten zusammen und ging in meine Küche, um ihr Werk fortzusetzen. Sie wäre um nichts in der Welt an diesem Abend in ihrer Küche geblieben.


Aber kein Grund zum Lästern: Ich habe schon “gestandene Männer” gesehen, die wegen eines Siebenschläfers, der durch ein Lokal lief, auf Tische kletterten und ihre Hosenbeine zu hielten, aus Angst, das Tierchen könnte ihnen da rein klettern. So passiert im Schützenhaus in Bingen. Der damalige Vereinspräsident war der erste, der oben war!





Allgemeine Lebensbedingungen nach Kriegsende und in den 50er Jahren


Wie ich auch an anderer Stelle schrieb, waren wohl schon zu Kriegszeiten Verwandte aus Städten zu denen auf dem Land geflüchtet, da es dort zum einen sicherer, andererseits auch die Versorgung besser war. Wenn auch natürlich kein Schlaraffenland.

Es wurde ja Landwirtschaft betrieben, und es gab einen großen Nutzgarten, also war für das tägliche Essen gesorgt. Normalerweise wurden auch Schweine gehalten, aber ich weiß nicht, wie dies direkt bei Kriegsende war. Ich kenne es so, dass - glaube ich - zweimal im Jahr ein Schwein geschlachtet wurde. Dazu kam ein Metzger aus Sobernheim, der sich auf Hausschlachtungen spezialisiert hatte; an einem Tag wurde das Schwein geschlachtet - ich erspare sensiblen Lesern hier die Einzelheiten, und am nächsten Tag wurde das Schwein dann verarbeitet. Meist zu Wurst und Schinken, ein Großteil des Fleisches wurde entweder eingeweckt oder in Dosen eingekocht, oder eingesalzen.

Das mit dem Tiefgefrieren kam erst später.


Ich nehme an, dass das Schlachten bei uns terminlich auch mit der jährlichen “Großveranstaltung” in der 5. Jahreszeit abgestimmt wurde, denn ich weiß, dass dann Schnitzel, direkt bei Frieda in der Küche am großen Tisch gegessen, DER Renner waren.


Zugekauft an Wurst oder Fleisch wurde so gut wie nichts, das konnten wir uns nicht leisten. Auch wenn ich diese Hausmacher Wurst überhaupt nicht mochte, denn sie erinnerte mich an den Geruch nach Schlachten und Wursteln, der sich lange im Haus hielt, und den mochte ich nicht, den konnte ich nicht riechen. Und überhaupt nicht mochte ich die “Wurstsuppe” oder “Metzelsuppe”.

Nach jeder Schlachterei aber wurden wir Kinder mit Suppe und Würsten zu ärmeren und alten Leuten im Dorf geschickt.


Einzige Ausnahme: Für das Heiligabend-Abendessen leisteten sich meine Eltern Fleischsalat und Kochschinken für die Familie, die in einem Feinkost-Geschäft in Sobernheim gekauft wurden, dazu gab es (nur an diesem Abend) eine Kanne Schwarzen Tee. Vater bekam als Weihnachtsgeschenk immer ein kleines Stück Räucher-Aal, das er großzügigerweise noch mit mir teilte; also hatten wir beide dann etwas “für den hohlen Zahn”.


Unsere Hühner waren für Brathähnchen nicht (mehr) geeignet, dafür waren sie zu alt, wenn sie geschlachtet wurden. Die kamen alle in den Suppentopf.

Aber in jedem Frühjahr gab es Zicklein. Meist waren es zwei, die die Ziege warf. Kurz vor Pfingsten wurden wir Kinder mit den Kleinen fotografiert - und an Pfingsten kamen sie dann auf den Mittagstisch.


Obwohl wir eine Gaststätte hatten, waren Limonade und ähnliche Dinge für uns Kinder streng limitiert: Jeden Sonntag durften wir uns eine kleine Flasche à 0,2 oder 0,25 l teilen!

Wochentags musste Pfefferminztee von Minze aus dem Garten oder Muckefuck, die immer in großen Kannen am Rand des Ofens oder Herdes standen, reichen.

“Richtigen” Bohnenkaffee gab es natürlich auch nur ganz selten, und nur für die Erwachsenen.


Kleidung für Frauen und Kinder wurde nicht gekauft, dafür kam eine Schneiderin  je nach Bedarf ein paar Tage ins Haus. Die einfache Näherin aus dem Dorf für Schlafanzüge, Kleidchen, Schürzen usw. Wenn es aber mal einen Mantel gab, dann kam eine bessere Schneiderin.

Der Stoff zu all diesen Kleidungsstücken musste nicht unbedingt neu sein, oftmals wurde alte Kleidung von Erwachsenen für Kinder umgearbeitet. Auch meine erste lange Hose, die ich 1956 bekam, wurde aus einer schwarzen Hose des schon lange verstorbenen Großvaters gefertigt. Warum ich das Jahr so genau weiß? Ich weiß, dass ich diese Hose während des Ungarn-Aufstandes bekam.


Arbeitskleidung für Männer wurde wohl fertig gekauft, wurde sicher bis es gar nicht mehr anders ging, immer wieder geflickt; Anzüge wurden vom Schneider gefertigt.

Diese waren auch Bestandteil des “Arbeitsvertrages” mit einem Knecht, dem zugesagt wurde, so und so oft einen Anzug zu bekommen.


Ich weiß nicht, wann wir einen Telefonanschluss bekamen, jedoch lange vor dem Fernsehgerät. Mein Vater war ein Technik-Freak, wie man heute sagen würde.

Natürlich kamen dann viele Nachbarn zum Telefonieren zu uns. Alles wurde genau in einem Heft notiert: wer - wann - wohin - wie lange. Manche zahlten gleich, die meisten später, manche leider sicher auch gar nicht.


Das Fernsehgerät bekamen wir im September 1953, am Samstag der Kirmes in Oberstreit, einem Nachbarort, die früher bis zu den Zeiten meiner Großeltern mit einem Zelt beschickt wurde, das aber beim Brand des alten Hauses 1914 mit verbrannte und aus Kostengründen nicht neu angeschafft wurde bzw. werden konnte; zumal die vorhandene Gebäudeversicherung wohl unzureichend war, wie ich aus Erzählungen weiß. So kam es auch, dass die von der Versicherung gezahlte Geldsumme nicht ausreichte, um für alle Gebäudeteile lange gelagertes Holz zu kaufen. Gutes Holz wurde daher nur für Stall, Scheune usw. verwandt, das weniger gute für das Wohngebäude, das dann im Laufe der Zeit weiter arbeitete und z. B. die Böden verzog.


Es gab damals nur ein Fernseh-Programm, und es wurde nur stundenweise gesendet. Aber alle waren so begeistert (natürlich allen voran mein Vater), dass der Kasten fast den ganzen Tag lief - und alle sich das Testbild anschauten, ein sehr abwechslungsreiches Programm - fast so wie heute auch!





Arztbesuch


Eine Kuh war krank, hatte ein dickes Bein. Also wurde der Tierarzt gerufen.


Der Knecht war auch krank, er hatte ein dickes Fußgelenk, weil ihm bei der Arbeit etwas drauf gefallen war.

Arztbesuch? Natürlich nicht!


Für die Kuh verordnete der Tierarzt Umschläge mit Rivanol.


Da der nun schon mal da war, konnte man ihn auch wegen des Fußes des Knechtes konsultieren.


Der bekam auch Rivanol-Umschläge.


Beide überlebten.










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