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Männe, der Hund


Irgendwann brachte mein Vater einen kleinen Hund mit nach Hause, der “Männe” (was für ein blöder Name!) genannt wurde. Er war wohl ausgesetzt worden. Auch das gab es schon in den 50er Jahren. Es war wohl Frieda und Oma Bienchen nicht so ganz recht, aber er durfte bleiben; zum Entzücken von uns Kindern - und von Männe.


Wir durften alles mit ihm anstellen. Wir zogen ihm Strickjäckchen und Trachtenhütchen an; wir schnallten ihm eine Wolldecke um, wenn wir mit einem alten Tornister “auf große Wanderschaft” gingen. Und wir konnten uns darauf verlassen, dass er am Mittag, wenn wir aus der Schule nach Hause kamen, erst am Fenster, dann an der Tür auf uns wartete, und sich  nach Hundemanier schier zerriss, wenn wir herein kamen.


Am Sonntag, wenn wir nicht zur Schule gingen, konnten wir uns auch darauf verlassen, dass Männe an unserer Schlafzimmertür kratzte und, wenn wir ihm nicht gleich öffneten, sich mit seinem ganzen kleinen Körper gegen die Tür warf - und dann wie ein Blitz in einem der Betten unter der Bettdecke verschwand. Und natürlich stritten mein Bruder und ich darüber, in wessen Bett er zuerst durfte.


Nur vor Besen, Staubsaugern und ähnlichen Gegenständen hatte er Angst; wenn er die sah, verkroch er sich irgendwo.


Aber mit den Katzen vertrug er sich hervorragend! Es gab ein Foto, wo er mit dem großen Kater Peter auf dem Treppenabsatz hinten zum Hof sass und sie sich gemeinsam sonnten. Am meisten Freude machte er dem Kater, wenn er ihm mit seiner rauhen Zunge die Kehle ableckte, wo er selbst ja nicht ran kam. Und wenn Männe dann aufhören wollte und sich abwandte, ging Peter um ihn herum, stellte sich wieder vor ihn und reckte ihm auffordernd seine Kehle entgegen - und Männe machte weiter.


Leider lief er dann viele Jahre später in einem Winter auf die Straße hinaus, ein Lkw kam, ... So wurde mir erzählt, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Gesehen habe ich ihn nicht mehr.


Er ist sicher im Hundehimmel.





1945 - 1950


Es war wohl für Frieda, die zwei Jahre zuvor eine männliche Fehlgeburt erlitten hatte, eine  arge  Enttäuschung,  dass ich nur ein Mädchen war. Denn  Männer waren für sie die Krone der Schöpfung. Und es war überaus wichtig für sie, einen Sohn zu gebären. Das  zeigte auch ihre Reaktion, als ich meinen Sohn zur Welt gebracht hatte. Sie sagte damals,  dass  ich jetzt  alles  erreicht  hätte  was eine Frau zu erreichen imstande wäre. Nun könne  (an  Kindern  meinte  sie  wohl)  kommen, was wolle. Aber niemand könne mir diesen Erfolg, einen Sohn zur Welt gebracht zu haben, je wieder streitig machen.


Sie  war  wohl  etwas  unaufgeklärt,  und  es  war noch nicht bis zu ihr bzw. bis nach Steinhardt  vorgedrungen, dass die Männer für das Geschlecht eines Kindes verantwortlich sind.


Sie hatte diese Frühgeburt, weil einige Zeit vor dem eigentlichen Geburtstermin des Nachts ein im Haus einquartierter Genesender der Wehrmacht in ihr Zimmer kam, sie anfasste, und  durch den Schreck ...

Damals wurde der alte Dr. N. aus Waldböckelheim gerufen, der zum einen erklärte: “Man kann einen Soldaten, der in Stalingrad war, nicht für seine Taten verantwortlich machen.” Und ihr zum anderen riet: “Bleiben sie so lange im Bett, bis ich wieder komme.” Aber er kam nie mehr wieder.


Ich  kam  am  25. März 1945, kurz nach dem Einmarsch der Amerikaner, zur Welt. Es herrschte  Ausgangssperre; zum  Glück war eine der vielen Verwandten, die aus der unsicheren Stadt in das sicherere Steinhardt gekommen waren, Hebamme.


Meine  ersten  Lebensjahre verliefen wohl recht normal - bis zur Geburt ihres Sohnes, meines  Bruders.  Von  da  an war immer nur er die Hauptperson und ich eben nur ein zweitrangiges Mädchen.


Ich  weiß  nicht  genau,  welches  Jahr  es  war, als  ich kurz vor Weihnachten für eine Aufregung  der  besonderen  Art  sorgte;  ich  weiß  nur, dass  sich damals im unteren Geschoss ein privates Wohnzimmer befand, da wo später  das elterliche Schlafzimmer war. An das Vorhandensein eines Babys bzw. eines  Brüderchens  denke  ich  in  diesem Zusammenhang aber nicht. Jedenfalls hatte ich  durch  das  Schlüsselloch  geschaut  - und einen “Stubenwagen” erblickt; und ich soll  deshalb  einen  so fürchterlichen Schrei ausgestoßen haben, dass mein Vater, der im Hof tätig war - ich glaube, dass er Holz hackte, meinte, mir wäre etwas passiert. An  Heiligabend  dann  hatte  ich  für mein anderes großes Geschenk, ein Dreirad, das meine  Eltern  unter  dem  Schreibtisch  versteckt  hatten, überhaupt keine Augen. Ich musste erst darauf aufmerksam gemacht werden.


Im Haus der Nachbarn M. wohnte eine alte Dame. Ich glaube, dass Frieda mich zu ihr mit  nahm.  Manchmal  brachte  ich  ihr Obst oder Gemüse aus unserem Garten,  gelegentlich kaufte  ich auch für sie ein; dafür schenkte sie mir dann 10 Pfennige oder so. Gertrud, die  Tochter  der  Familie  M.,  ein  Jahr  älter als ich, beschuldigte mich irgendwann, das nur wegen des Geldes zu tun; danach ging ich nicht mehr zu dieser Dame; so etwas ließ ich mir nicht unterstellen.


Als ich 4 Jahre alt war, wurde ich das erste Mal mitgenommen nach Trier, wo die Schwester meiner Großmutter, Elise, mittlerweile verwitwet, wohnte. Sie hatte infolge Mangelernährung in der Kindheit einen rachitischen Buckel, war mit einem Vetter verheiratet worden.  Die Fahrt mit Eisenbahn und Bus dorthin war ein richtiges Abenteuer. Hinzu kam, dass mein Magen als Kind das Autofahren allgemein nur schwer ertrug. In dem übervollen Bus war das besonders schlimm; ich musste mich immer wieder übergeben. Eine mitreisende Ordensschwester kümmerte sich um mich.

Für die Rückfahrt hatte Frieda einen kleinen Topf gekauft ... für den Fall der Fälle. Aber der Busfahrer - derselbe wie auf der Hinfahrt - setzte uns ganz vorne hin, so dass ich durch die Frontscheibe schauen konnte, und alles ging gut.


Später, ich mag 6 oder 7 Jahre alt gewesen sein, wurde ich fast ganz alleine in den Sommerferien nach Trier geschickt. Ein Verwandter, Onkel Fritz Groth  aus Bad Kreuznach, Drogist, Handelsvertreter bei Esüdro, nahm mich bei einer seiner Geschäftstouren mit dort hin. Ich blieb ein paar Wochen bei den Verwandten, und dann nahm er mich wieder mit zurück.


Eine meiner besten “Freundinnen” in Steinhardt war Hanna Klippel. Ich besuchte sie sehr oft. Als ich 5 Jahre alt war, heiratete sie einen Landwirt in Gutenberg. Ich und ein anderes Kind aus Steinhardt wurden auserkoren, ihren langen Brautschleier zu “tragen”. Wir waren also quasi ihre Schleppenträgerinnen. Die örtliche Schneiderin fertigte für uns Beide gleiche Kleider, wir bekamen eine Frisur mit “Schillerlocken”  und Halbschuhe mit geknöpften Spangen. Wir beide verbrachten den ganzen Tag mit dem Brautpaar, waren auch mit beim Fotografen.


Ich durfte sie noch zweimal, so erinnere ich mich, für einige Tage besuchen. Das hörte auf, nachdem sie zwei Kinder geboren hatte. Dann wurde sie schwer krank - Lymphdrüsenkrebs - und verstarb.


Meine  beste  Vor-Schul-Freundin  war  Karin B.  Sie kam mit ihren Großeltern, ihrer verwitweten  Mutter  und  ihrer  Tante,  die  Lehrerin  war,  in  unsere Gaststätte. Ihre Mutter und die Tante rauchten!, damals eine absolute Ausnahme, jedenfalls bei uns auf dem Land.

Die Tante gab Musikunterricht (bei ihr lernte ich Blockflöte) und Turnunterricht; so kam ich in den Sobernheimer  Turnverein, dem  ich bis zu meinem 15. Lebensjahr angehörte. Bis dahin  konnte  ich  am  Nachmittag zum Turnen gehen, unterrichtete später auch zusammen  mit meiner Freundin Inge M. die ganz Kleinen. Danach aber hätte ich zu den “Erwachsenen” wechseln  und  am  Abend  zum  Training  müssen.  Aber  da  gab  es keine Busverbindung mehr. So fiel das Turnen dem schlechten ÖPNV zum Opfer.

Ich  erinnere  mich  an  wunderschöne,  stimmungsvolle Winternachmittage, an denen wir  Flötenspielerinnen  uns  bei  dieser Lehrerin zu Hause trafen, und gemeinsam mit unterschiedlichen  Flöten  mit  ihrer  Klavierbegleitung  spielten. Leider gab es solche Nachmittage nur äußerst selten.


Ich erinnere mich auch, dass wir manchmal für den Turnverein oder auch um irgendwo  ein Flötenkonzert zu geben, an Sonntagen weite, richtig weite Fußmärsche auf uns nahmen. Einmal, im Sommer, es war sehr heiß, ich die Kleinste (daher hatte ich auch meinen Spitznamen: Gutsje, was im Sobernheimer Dialekt soviel bedeutet wie kleines Bonbon), und ich konnte einfach nicht mehr mithalten, hielt unsere Lehrerin einen Mopedfahrer an, damit der mich mitnahm zu unserem Auftrittsort.


Es gab auch eine Fahrt? Wanderung? in einen Ort, in dem wir Verwandte hatten. Wir Turnerinnen waren eingeladen, bei Familien des Ortes zu Mittag zu essen. Ich natürlich bei unseren Verwandten. Leider! Das Essen schmeckte mir ganz und gar nicht. Zum Glück hatte ich ja “Benimm-Unterricht” von Frieda erhalten und lud mir nicht viel auf meinen Teller. Bei Frieda schmeckte es besser! Gut Kochen liegt wohl in unserer Familie.


Ich holte bei Turnfesten oftmals Preise für mich und den Verein.


Eine willkommene Abwechslung für uns Kinder waren die US-amerikanischen Soldaten, die immer mal in unserer Gaststätte einkehrten.  Sie gaben uns meist etwas von ihren Notrationen ab - große Konservendosen, die wahre Schätze für uns enthielten: kleinere Dosen mit Fertiggerichten, Schokolade, Kekse.


Von einem der Soldaten erhielt ich die erste Banane meines Lebens - und wollte sie gar nicht essen, nach dem Motto “Was der Bauer nicht kennt, ...” Aber die Drohung von Frieda: “Wenn Du sie nicht willst, dann bekommt sie Gernot”, half mir beim Essen.









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