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Notfall auf Station IV


Sonntag - Spätdienst. Man hatte mich mal wieder um Aushilfe gebeten, und ich half gerne. Nur Schwester K. und ich waren auf der Station.

In einem Zimmer “residierte” ein älteres Ehepaar. Eigentlich war ja ihretwegen von ihrem Hausarzt ein Krankenwagen gerufen worden. Nur: Wie hätte ER alleine zu Hause zurecht kommen sollen? Also wurde er ebenfalls ins Krankenhaus verfrachtet, in der “Hoffnung”, dass die Ärzte auch bei ihm eine Krankheit entdecken würden. Was sie dann auch taten. Es war sogar so, dass sich die Dame recht schnell von ihrem Schlaganfall erholte, während ihr Ehemann immer schusseliger wurde.

Und da er in seiner Desorientiertheit öfter mal im OP-Hemdchen das Zimmer verließ und auf den Krankenhausgängen herumirrte, hatte man innen, im Zimmer, die Türklinke entfernt. Die Schwestern und Pfleger ließen also, wenn sie dort zu tun hatten, die Tür einen Spalt weit offen.

Das tat auch Schwester K. als sie in dieses Zimmer gerufen wurde, um den Patienten zur Toilette zu begleiten. Aber an diesem Tag war herrliches Wetter und man hatte auch die Balkontür geöffnet. Es kam, wie es kommen musste: Ein Windstoß - und die Zimmertür fiel zu. Zum Glück hatte das Ehepaar Telefon auf seinem Zimmer; Schwester K. rief mich im Stationszimmer an, ich solle sie “befreien”.


Als ich ins Zimmer kam, stand der Patient hilflos mitten im Raum. Ich sollte ihn festhalten, damit er nicht hinfiel, was ich auch tat. Irgendwie musste er nun angenommen haben, er sei auf der Toilette. Ich stand vor ihm, hielt ihn unter den Achseln fest und konnte noch meine Füße in Sicherheit bringen, damit sie nicht von seinem Urinstrahl getroffen wurden. Schwester K. stand bzw. kniete hinter ihm, tippte ihm ständig auf seinen verlängerten Rücken und rief: “Herr ..., Sie sind hier nicht auf der Toilette!”, was aber nichts half - Herr ... entleerte sich.


Und dann konnten wir uns nicht mehr zurück halten und lachten schallend über die Kuriosität dieser Situation.

Und dann putzten wir die Schweinerei weg. Man darf nicht zimperlich sein in diesem Beruf.





Hans-Jürgen T.


Hans-Jürgen kannte ich, seit ich den Schützenverein besuchte. Zu Zeiten meiner ersten Besuche dort mit meinem zweiten Ehemann H. (ich schoss noch gar nicht, mein Mann nur gelegentlich, so zum Spaß) führten seine Eltern die Schützenhaus-Kantine. Hans-Jürgen war genauso ein Waffennarr wie mein zweiter Ehemann. Er war später dann auch Leiter der “Schwarzpulver-Abteilung” des Vereins, die jährlich ein großes Turnier mit historischen bzw. pseudo-historischen Waffen durchführte.

Seine Eltern wohnten in einem kleinen Haus in B., wo wir sie hin und wieder besuchten; H.-J. hatte sich in einem kleinen Ort in Rheinhessen ein Haus gekauft; aber auch unter anderen Vorstellungen als die dann eingetretenen Tatsachen.


Er arbeitete bei der Bundeswehr in Mainz, war so etwas wie Schulungsleiter für ABC-Katastrophen. Er hatte bei einem Unfall ein Auge verloren, war aber trotzdem ein guter Schütze; was wiederum beweist, wie anpassungsfähig der menschliche Körper bzw. die menschlichen Sinnesorgane sind.


Es gab Zeiten, als ich noch mit H. verheiratet war, in denen ich mir H.-J. als Mann für mich hätte vorstellen konnte. Später dann aber nicht mehr.


Ich war sehr erstaunt, als er mich eines Tages, nach meiner Trennung von H., als ich schon in Mainz arbeitete, aber noch in Bad Kreuznach wohnte, anrief. Und aus schlechter Erfahrung dachte ich gleich: “Hans-Jürgen will mir an die Wäsche!” Ich wollte ihm aber keine Absage erteilen, bat indes zwei  Kolleginnen, am Abend  hin und wieder mal bei mir anzurufen - als Störung gewissermaßen, was diese auch taten. Aber H.-J. war manierlich.


Als ich dann in der Nähe von Mainz wohnte, besuchte er mich ab und zu; und er half mir auch, wenn ich mal z. B. einen neuen Sack Hundefutter für Bessy brauchte, diesen vom Supermarkt nach Hause zu schaffen.


Bei ihm konnte ich später auch Hans-Peters Auto unterstellen, das wir total verdreckt bei einem Bauern an der Mosel abholten, wo Hans-Peters Schwägerin und Nichte es unter einem Zwetschgenbaum abgestellt hatten. Er half mir auch, das Auto zu verkaufen. Das war kurz vor meiner Reise 1987 zu H.-P. bzw. in die USA.


Als ich dann wieder zurück kam, ließ er sich erst mal nicht mehr sehen solange H.-P. bei mir wohnte, erst später wieder. Und es kam zu einer Auseinandersetzung, weil er behauptete, ich hätte, als ich in Texas war, seine Bekannten dort angerufen und um “Asyl” gebeten, obwohl ich doch gewusst hätte, dass ihr Sohn so schlimm erkrankt war.

Aber ich konnte ihn nicht davon überzeugen, dass dies nicht der Wahrheit entsprach. Im Gegenteil: Seine Bekannte hatte mich im Hotel in Huntsville angerufen und angeboten, dass wir uns mal treffen könnten, was aber nicht klappte, da ich dann weiter reiste nach Dallas.


So endete leider meine nur freundschaftliche Beziehung zu Hans-Jürgen. Das Hundefutter besorgte ich danach in der örtlichen Raiffeisen-Niederlassung per Hacken-Porsche.


Versuche, ihn via Internet zu finden, bringen keine Ergebnisse, und zu den Schützen in B. habe ich keine Verbindungen mehr - und möchte sie auch nicht mehr haben.





Eine kleine Weihnachtsmusik


Wie ich schon in meinem ersten Buch “Ich hätte eine “höhere Tochter” werden sollen” schrieb, gehörten meine Eltern keiner Religionsgemeinschaft an. Nur wir Kinder, mein Bruder und ich, waren getauft worden, damit wir Konfirmation feiern konnten. Aber dennoch feierten wir natürlich Weihnachten, und Heiligabend war im Prinzip der einzige Abend des Jahres, an dem unsere Gaststätte geschlossen war. Dieser Abend gehörte der Familie; wir spielten gemeinsam Karten, meist lag auf dem Gabentisch ein neues Spiel, das natürlich gleich ausprobiert werden musste. Meine Puppen hatten ein neues Kleid bekommen, die Märklin-Eisenbahn meines Bruders hatte auch ein paar neue Teile erhalten. Es war im allgemeinen alles nicht so üppig wie heute meistens.

Diszipliniert wurde erst zu Abend gegessen, bevor dann das Christkind mit den Geschenken kam, wenn alles fertig war, mit seinem Glöckchen klingelte und schnell entschwand. Wir bekamen es nie zu sehen.


An diesem einen Abend des Jahres gab es ein fulminantes Abendessen mit Schwarztee, und in Sobernheim in einem kleinen Feinkostladen in der Bahnhofstraße, den es schon lange nicht mehr gibt, war eingekauft worden: für jeden eine Scheibe Kochschinken und Fleischsalat; heute sind dies Selbstverständlichkeiten, die die meisten sich jeden Tag leisten könnten. Damals bei uns auf dem Land wurde normalerweise nur das gegessen, was wir selbst hatten.


Auch diese Disziplin des zeitlichen Ablaufs weichte mein Vater auf, der nicht einsehen wollte, dass wir an diesem feierlichen Abend in der kalten Küche essen sollten, wo es doch im festlichen Wohnzimmer schön mollig warm und gemütlich war. Also änderte er den Ablauf diesen Abend und hinfort gab es erst die Bescherung und anschließend das Abendessen.


Mein Vater hatte ja schon immer den Hang zum Lästern, auch über die “Heiligkeit” oder Scheinheiligkeit der Mitbewohner im Dorf. Und eines Heiligabends überkam ihn so richtig der Schalk, ungeachtet der andauernden “Aber Herbert!”-Rufe seiner Frau.


Es war recht mild in selbigem Jahr an Heiligabend, und Herbert riss alle Fenster auf, und ließ auf dem Schall-plattenspieler immer wieder mit voller Lautstärke den “Badenweiler Marsch”, wohl einst des GröFaZ Lieblingsmarsch, spielen.


Er fand das äußerst lustig, wir Kinder auch, nur Frieda, die dachte sicher daran “Was denn nun die Leute sagen”.

Obwohl - an Heiligabend war in Steinhardt damals niemand unterwegs.