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Foxi, der Yorkshire-Terrier


H. wollte einen Yorkshire-Terrier, weil er bei einem Nachbarn einen gesehen hatte.

Ich kümmerte mich darum, und kurz vor Weihnachten fuhren wir am Abend nach der Arbeit nach Mannheim, um ihn abzuholen.

Da er “Fuchs vom Rölveder Land” hieß, nannten wir ihn “Foxi”.


Ach, war er klein! Gerade mal eine Handvoll Hund! Aber überall durfte er mit hin. Natürlich auch am Sonntagmorgen ins Schützenhaus. Ab sofort gingen wir nur noch in Kneipen, in denen auch unser Hund willkommen war.

Bald wusste er: Wenn Herrchen und Frauchen bezahlen, dann geht es weiter, dann darf ich wieder laufen. Denn er lief leidenschaftlich gerne und ausdauernd. Würde man so einem kleinen Kerl gar nicht zutrauen.


Obwohl er soooo klein gar nicht war. Er war kein Mini-Hund, sondern ein ganz normal-großer Yorkshire-Terrier.


Ab diesem Zeitpunkt durften wir erst bezahlen, wenn wir auch aufbrechen wollten. Denn sonst war der Teufel los; er war kaum zu bändigen. Er sprang und hüpfte hin und her und auf und nieder, bis wir endlich gingen.


Am liebsten aß er das, was wir auch aßen, egal was es war. Am Morgen frühstückte er mit meinem Mann Marmeladenbrot; er bekam seinen Teil in kleine “Reiterchen” geschnitten, und die reichte ihm mein Mann. Wenn es Bratwurst gab, dann wurde eine mehr gekauft, und die war für Foxi. Statt Schnitzel gab es ab sofort nur noch Kotelett.

Er aß sogar Handkäs mit Musik und Matjesheringe. Nichts schreckte ihn, solange nur wir es auch aßen.


Er hatte von all diesem eigentlich nicht hund-gerechten Essen niemals Probleme. Er war ein gesunder Hund.


Und er trank Bier; am liebsten Export. Pils war ihm wohl zu bitter. Deshalb bestellte sich mein Mann im Schützenverein immer Export (dort gab es nur Flaschenbier) und Foxi bekam etwas davon in einem Aschenbecher serviert. In unserer Stammkneipe in Bad Kreuznach musste er doch mit Pils vorlieb nehmen. Dort tranken wir Glas-Bier mit einer schönen Schaumkrone; und davon bekam Foxi je einen Finger voll zum Abschlecken.


Nur einmal, wir waren in Urlaub im Chiemgau; in einer Landgaststätte unterwegs bot ihm ein Mann, der am Nebentisch Weißwürste gegessen hatte, seine Reste davon an ... und die verschmähte er. Entweder waren die Würste nicht nach seinem Geschmack, oder er mochte diesen Mann nicht. Unter uns gesagt: Diese Kneipe gefiel uns auch nicht.


Nur eines mochte er nicht, obwohl er doch quasi im Schützenverein aufgewachsen war: Knall, Schüsse, Feuerwerk.

An Silvester legte ich mich meist mit ihm um Mitternacht ins Bett, nahm ihn in den Arm, tröstete ihn.


Seine Knochen, sei es vom Kotelett, sei es, dass wir ihm welche beim Metzger kauften, “vergrub” er in der Wohnung. Er schleppte sie in irgendeine Ecke, scharrte auf dem Fußboden, und dann legte er seinen Knochen in diese imaginäre Kuhle - und häufte mit dem Kopf die imaginäre Erde über seinen Knochen.

Aber wehe, er bemerkte, dass wir ihn dabei beobachtet hatten: In solchen Fällen grub er seinen Knochen wieder aus, schleppte ihn an eine andere Stelle der Wohnung - und das Spiel begann von vorne.


Er war wohl der einzige Leidtragende unserer Scheidung: H. nahm ihn mit, und ich hörte, dass er ihn an andere Leute in seinem Heimatort weiter gegeben hat.


Mittlerweile ist er ganz sicher schon lange im Hunde-Himmel.





1975 - 1980


Eines trübte unser Eheleben: Ich wurde nicht schwanger. Und ich hätte so gerne noch ein Kind gehabt.  Ich bat H., sich von einem Arzt untersuchen zu lassen, und als “Anreiz” für ihn ging ich selbst zum Gynäkologen, um meine Fähigkeit zum Gebären mir bescheinigen zu lassen. Ich hatte sie zwar schon unter Beweis gestellt, aber man weiß ja nie - ein Körper verändert sich.

Doch es nützte nichts; H. ging nicht zum Arzt. Und so wartete ich Jahr um Jahr auf eine erneute Schwangerschaft, die nicht eintrat.


Heiko besuchte mittlerweile die Realschule, war aber damit nicht so ganz glücklich, und offenbar die Lehrer auch nicht mit ihm. Obwohl er bei seiner Großmutter lebte, bestellte sein Klassenlehrer uns zu sich und riet uns, ihn zu uns zu nehmen. Frieda war entsetzt! Aber mit seinen Lehrern im Rücken setzte ich mich durch.


Wir richteten für ihn das Gästezimmer neu ein, wir meldeten ihn bei der Realschule in Bad Kreuznach an und hatten dort ein ausführliches Gespräch mit dem Direktor. Heiko wurde wegen seiner schlechten schulischen Leistungen (seltsam, dass die Frieda nicht gestört hatten, wo sie doch damals bei mir so engstirnig war) ein Jahr zurück gestuft. Wir fanden alle, dass das das Beste für ihn sei; außerdem vermieden wir damit eine evtl. Wiederholung der Klasse im Jahr darauf. Er kam schon während der Schulferien zu uns, damit wir uns aneinander gewöhnen konnten. H. und ich hatten uns Urlaub genommen.

Es war noch keine Woche vergangen, da rief Frieda schon an, ob wir ihr  Heiko über’s Wochenende nach Steinhardt schicken könnten. Aber wir lehnten ab mit der Begründung, dass er sich erst mal bei uns und in der neuen Umgebung eingewöhnen solle, und dass zu diesem Zeitpunkt ein dauerndes Hin- und Her-Gezerre nicht zu seinem Besten wäre. Abgesehen davon, dass Heiko auch Spaß daran fand, bei uns “Jüngeren” in Bad Kreuznach zu sein.


Natürlich fuhr er dann später jedes zweite Wochenende zu seiner Großmutter nach Steinhardt. Das hätten wir ihm nie untersagt, auch wenn unsere Beziehung zu ihr nicht optimal war.


Ich hatte an meiner Arbeitsstelle darum gebeten, nur noch halbtags tätig sein zu können, und meinem Ersuchen wurde stattgegeben. Also war ich jetzt am Nachmittag, wenn Heiko aus der Schule kam, zu Hause. Ich konnte seine Schularbeiten beaufsichtigen, und manchmal konnten wir auch etwas gemeinsam unternehmen.


Es hatte sich ärztemäßig, und vor allem zahnärztemäßig seit meiner Kindheit/Jugend in Sobernheim wohl nicht viel verändert. Denn schon bei mir hätte eigentlich eine Zahn- und Kieferkorrektur in der Kindheit stattfinden müssen. Aber: 1976 stellte ein Zahnarzt in Bad Kreuznach das ebenso für Heikos Zähne fest. Und: Es war höchste Eile geboten, denn eine Kiefer-Korrektur ist nur bis zu einem bestimmten Knochen-Wachstums-Stadium machbar.


Die Kieferorthopäden in Bad Kreuznach konnten (oder wollten) uns erst einen Termin in einem Jahr geben, also mit Sicherheit zu spät.


Doch ein Kollege, den ich eigentlich nicht mochte, weil er immer so überheblich tat  (“Geben Sie mir den Wirtschaftsteil der Zeitung, nehmen Sie das Feuilleton!”), kannte eine Kieferorthopädin, die sich in Mainz niederlassen wollte, und er gab mir ihre Telefonnummer. Wir hatten Glück und bekamen einen frühen Termin.


Zuerst fuhr ich mit ihm hin. Die Praxis befand sich nicht weit vom Hauptbahnhof entfernt. Bald konnte Heiko alleine hinfahren.


1976 dann kamen meine Schwiegereltern und meine Schwägerin, die sich mittlerweile hatte scheiden lassen, mit nach St. Tropez. Wir mussten ja nun während der Sommerferien dorthin fahren; deshalb war ein Wohnwagen erst einige Tage später als von uns gewünscht verfügbar. Aber wir machten aus der Not eine Tugend.


Wie fast immer übernachteten wir das erste Mal in Beaune; und am Abend gingen wir - Ihr wisst schon - in “unser” Keller-Restaurant in der Innenstadt.

Dann hatten wir für einige Tage Zimmer in einem Hotel in Arles-Trinquetaille gebucht, gegenüber der Altstadt, die am Ostufer der Rhône  liegt. Eine Stadt, in die ich gerne noch mal fahren würde. Mit dem gebuchten Hotel hatten wir einen Glücksgriff getan.


Wir machten natürlich eine Stadtbesichtigung, besuchten  das Amphitheater und umwanderten seine Steinummauerung, das römische Theater, und genossen den Flair dieser schönen alten Stadt. Heiko war einige Jahre später noch mal dort - mit seiner Schulklasse. Er hatte von dieser Stadt geschwärmt, und so hatten sich seine Mitschüler entschlossen, seiner Empfehlung zu folgen und dort hin zu fahren - und diese Stadt gefiel auch ihnen.


Wir machten eine Rundfahrt durch die Camargue, soweit dies mit Pkws möglich ist, sahen Wildpferde und Flamingo-Herden.

Wir fuhren auch nach Les Baux, nach dem das Bauxit benannt wurde, das dort abgebaut worden ist. Es gehörte einmal zu Monaco, dessen Fürsten immer noch den Titel “Comtes de Les Baux” tragen, obwohl der Ort und der Felsen mit der Burg längst staatsrechtlich zu Frankreich gehören.


Der Aufenthalt auf dem üblichen Campingplatz gestaltete sich mit H.s Eltern und Schwester auch weit erfreulicher als mit Frieda. Im Prinzip verbrachte jeder den Tag nach eigenem Gusto. Meine Schwiegereltern hatten ihren Wohnwagen und versorgten sich selbst und ihre Tochter, die ein kleines Zelt in der Nähe von unserem aufgeschlagen hatte; wir brauchten nur für uns zu sorgen. Und da wir mit zwei Autos unterwegs waren, konnten wir uns auch in unseren “Freizeit-Aktivitäten” unabhängig voneinander bewegen. Natürlich unternahmen wir auch vieles gemeinsam.


Wir hatten uns nach dem Sturm-Erlebnis, damals auf unserer Reise mit Frieda, ein neues, stabileres Zelt gekauft und noch zusätzlich eine Sturmverspannung anbringen lassen. Aber natürlich war das Wetter uns seitdem wohlgesonnen.


Dies werde ich nie vergessen: Mein Mann und ich, wir hatten uns in St. Tropez schicke weiße Jeans gekauft. Dann trugen wir sie - natürlich mit einem weißen Shirt dazu - als wir alle im “Gorille” Steak Tatar essen waren. Es wurde serviert - Worcester-Sauce gehört dazu, und die muss man bekanntlich vorm Benutzen schütteln; ich achtete nicht darauf; jedenfalls war die Kappe nicht richtig bzw. gar nicht  zugeschraubt, und ich schüttelte eine gehörige Menge auf meines Mannes neue weiße Jeans! Die Flecken sind niiiiieeeee mehr herausgegangen; ich weiß nicht, welche Ingredienzien diese Sauce hat - und jetzt will ich es auch nicht mehr wissen.


Eine klitzekleine Kleinigkeit brachte eine Misshelligkeit in unseren Aufenthalt: Meine Schwägerin wollte sich umziehen und bat darum, dies in unserem geräumigen Zelt tun zu dürfen. Klar doch! Aber: Sie wollte mit ihren schmutzigen, sandigen Füßen dazu in unsere Schlafkabine. Das erlaubten wir nicht! War doch auch verrückt! Draußen liefen die Leute halb- oder ganz-nackig herum, und sie wollte sich ins hinterste Eckchen unseres Zeltes verkriechen, und wir sollten des Nachts in dem von ihr herein getragenen Sand schlafen! Nein! Nein! Nein!

Ergebnis: Sie baute ihr Zeltchen ab und zog ins Vorzelt des Wohnwagens ihrer Eltern.


Zum Glück ging die Zeit unseres Aufenthaltes zu Ende; wir fuhren bis Beaune gemeinsam zurück und beschlossen dann, den Rest der Strecke getrennt nach Hause zu fahren.


In unserem Alltagsleben hatte sich Routine breit gemacht. Auch mein Sohn kam nun mit in den Schützenverein, er schoss - klar - Luftgewehr, so fangen alle an, und ist die einzige Disziplin, die man so jung ausüben darf. Und er schoss gut, richtig gut! Er erreichte im Jahr 1981 die Deutschen Meisterschaften, wurde dort 15. Leider? Ich sah das anders: Ist doch etwas Besonderes, der fünfzehnt-beste Schütze seiner Altersklasse in ganz Deutschland zu sein!


Leider machte später seine Partnerin alles zunichte. Da sie keinen Bezug zu diesem Sport hatte, vermieste sie auch meinem Sohn dessen Ausübung. Leider. Aber man kann es immer wieder feststellen, dass mit dem Eingehen einer Partnerschaft sportliche Aktivitäten auf der Strecke bleiben. Außer man riskiert ständigen Ärger mit dem Partner. Natürlich trifft das auch auf andere Hobbies zu.


Und dann kam H. - meine Schwägerin. Sie hatte mittlerweile eine kleine Wohnung in Bad Kreuznach, arbeitete Schicht in einer Polstermöbelfabrik und ... langweilte sich.

Ihren Ausraster von vor einiger Zeit, als sie im Elternhaus sturzbetrunken anfing zu toben, mit Stühlen zu werfen, und ihr Vater Arzt und Polizei rief, der Arzt ihr eine Beruhigungsspritze gab, die Polizei erklärte, nichts tun zu können, hatten wir ad acta gelegt.

Wie gesagt, sie langweilte sich. Und da kam ihr wohl der Gedanke, dass ich nur halbtags arbeite, und dass sie mich/uns mal besuchen könne. Gesagt - getan - und sie blieb bis spätabends, bis wir “Sperrstunde” geboten. Das gefiel ihr so gut, dass es nun fast jeden Nachmittag bei uns klingelte, und Heiko sagte: “H.” - und das war sie dann auch meistens. Wir hatten ab sofort kein Privatleben mehr. Jeder klagte darüber und stöhnte, dass sie schon wieder da war - auch mein Mann.


Und eines Abends beim Kartenspielen mit ihr platzte mir der Kragen. Ich sagte ihr, was Sache ist, dass das so nicht weiter gehen könne; dass sie uns gerne ab und zu besuchen könne - nach telefonischer Rücksprache. Alle schauten mich entsetzt an.

Sie packte ihre Sachen zusammen ... und ging ... und ab sofort hatten wir ruhige Nachmittage, und Abende für uns - wenn wir es so wollten. Dachte ich. Obwohl er sich auch immer über die fast täglichen Besuche seiner Schwester beklagt hatte, war mein Mann mir sehr böse, dass ich so zu ihr geredet  hatte. Konnte ich nicht verstehen; er war ja nur zu feige gewesen, ihr das selbst zu sagen.


Übrigens: Das neue Zelt benutzten wir nur ein einziges Mal, und dann fuhren wir nicht mehr auf Campingplätze. Denn H. hatte einen Nachbarn mit einem Yorkshire-Terrier gesehen, und nun wollte er auch einen - und bekam ihn. Und im allgemeinen sind Hunde auf Camping-Plätzen nicht gerne gesehen. Also war diese Episode zu Ende.


H. war, wie ich bemerken musste, nicht sehr entscheidungsfreudig, und schon gar nicht ehrgeizig.


Ich machte ab Januar 1977 Samstags eine einjährige Fortbildung des DGB zur Geprüften Sekretärin, das wollte ich schon lange, sah jedoch in meiner familiären Situation keine Möglichkeit, eine Sekretärinnen-Schule zu besuchen, da das meine Abwesenheit von zuhause bedeutet hätte. So kam mir dieses Angebot gerade recht. Also ging ich nun jeden Samstag wieder zur Schule, und während der Woche lernte ich.

Es lohnte sich; mein Ehrgeiz war geweckt, und ich wurde Klassenbeste.


H. hatte solche Ambitionen nicht; ihm war es gerade recht, wenn jeder Tag im gleichen Trott ablief.

So lehnte er es auch ab, die ihm angebotene Nachfolge des Abteilungsleiters anzutreten; zu viel Überstunden, zu viel Samstagsarbeit, zu viel Verantwortung, zu viel Ärger mit Kollegen, gegenüber denen er sich hätte durchsetzen müssen. Er ging lieber den Weg des geringsten Widerstandes. Was ich gar nicht verstehen konnte.


Ich weiß nicht mehr genau, in welchem Jahr es war; aber es war an einem Hubertus-Ball im Schützenhaus, also Anfang November. H. konnte zwar leidlich tanzen - doch er tat es äußerst ungern. Ich jedoch, ich tanzte schon immer sehr gerne. Also waren Kräche vorprogrammiert. Ich hätte ja nicht von ihm verlangt, dass er sich nun auf einmal mit Verve ins Tanzvergnügen stürzen solle. So ab und zu hätte er sich doch dazu aufraffen können, mir zuliebe. Aber nein! Egal wie sehr ich bat und bettelte, es war nichts zu machen, er lehnte es ab zu tanzen.

Worauf ich meinen Mantel holte, zum Auto ging und nach Hause fuhr. Ich weiß noch, dass ich der Frau unseres Präsidenten im Windfang begegnete, die ganz erstaunt war; und dass ich ihr erklärte, was los war. Aber ich ließ mich nicht dazu überreden, auf dem Ball zu bleiben. Was sollte ich auf einem Ball, wenn ich nie tanzen konnte?!

Wie mein Mann dann nach Hause kam, weiß ich nicht mehr.


1978 wurde Heiko konfirmiert. Frieda hätte am liebsten die Ausrichtung der Feier ganz an sich gerissen, allerdings wollten wir das nicht. Wir hatten in einem Restaurant in der Nähe unserer Wohnung Mittagessen für alle bestellt. Ich hatte in den Tagen davor Unmengen Kuchen und Torten hergestellt - natürlich viel zu viel! Und war dafür auch einige Male nach Steinhardt gefahren. Frieda schmollte ein bisschen und redete wenig.


H. hatte sie am Morgen abgeholt. Nach dem kirchlichen Procedere fuhren wir also in das besagte Restaurant zum Mittagessen. Danach ging es nach Steinhardt. Eigentlich war es ein lustiges Fest. Ich erinnere mich noch gut an ein paar Tänze, die mein Bruder und ich aufs Parkett legten. Obwohl wir noch nie miteinander getanzt hatten, harmonierten wir sehr gut.

Frieda hatte es sich nicht nehmen lassen, statt des Mittagessens ein fulminantes Abendessen mit Braten aus dem Bäckerofen zu servieren.


Mein Bruder war der Pate gewesen, Ilses Tochter H. die Patin. Sie war zwar nicht in der Kirche in Bad Kreuznach anwesend, kam aber dann am Nachmittag zum Kaffee.


Im Sommer des gleichen Jahres bekam ich an einem heißen Samstag im Juni am Vormittag einen Anruf von der Kinderstation der Diakonie-Anstalten: Heiko war am Bahnhof, als er auf den Bus nach Hause wartete, zusammengebrochen und dort hin gebracht worden. Es ginge ihm jedoch wieder gut. Wahrscheinlich hatte er zu wenig getrunken, und das, zusammen mit der Anstrengung bei einem Chor-Konzert, in dem er mitsang, hatte wohl dazu geführt.

Er sollte trotzdem noch ein paar Tage zu Untersuchungen im Krankenhaus bleiben.

Mein Mann war nicht da; er war im Schützenverein, um mitzuhelfen bei den Vorbereitungen für den Königsball, der am Abend stattfinden sollte. Ich rief im Verein an und ließ ihm ausrichten, was passiert war. Er kam auch so bald wie möglich nach Hause.

Ich packte ein paar Sachen für Heiko zusammen, und wir brachten sie ihm dann, als H. zu Hause war.


Aufgrund der Untersuchungen bei Heiko riet man, die Mandeln zu entfernen, was auch gleich im Anschluss gemacht wurde. Was weitaus schlimmer war, betraf seine Hoden, von denen einer innen, also im Bauchraum lag. Dies kann zu Zeugungsunfähigkeit führen, da es für die Hoden im Bauchraum zu warm ist.

Als die Operation durchgeführt werden sollte, war Heiko stark erkältet, so dass man davon Abstand nahm.

Und dann, mit Einsetzen der Pubertät, verlagerte sich der Hodensack zum Glück nach außen, so dass eine Operation nicht mehr nötig war, aber man attestierte ihm eine nur eingeschränkte Zeugungsfähigkeit - und nun hat er drei Kinder.


1979 im Frühjahr/Frühsommer bekam ich an meiner Arbeitsstelle einen Anruf von Heikos Klassenlehrer, und eine Welt brach für uns zusammen. Er hatte die Schule geschwänzt, wochenlang, um einen “blauen Brief” abzufangen, der an uns geschickt werden sollte.


Uns und den Lehrern erzählte er bei einer Anhörung, dass er nicht zur Schule gegangen sei, weil ihm unterwegs ein größerer, älterer Jugendlicher aufgelauert habe, der Geld von ihm gefordert hätte.


Also setzten wir uns deswegen mit einer Nachbarin, die bei der Kripo war, in Verbindung. Wir gingen mit Heiko zu ihr, und er musste sich die Konterfeis von bereits straffällig gewordenen Jugendlichen anschauen; natürlich ohne Ergebnis.

Die erfahrene Kriminalistin vermutete gleich, dass Heiko gelogen hatte. So war es auch, wie er dann schlussendlich gestand.


Wegen seiner schlechten schulischen Leistungen und dieser Vorfälle musste er die Klasse wiederholen; also hatte er nun schon zwei Jahre verloren.


1979 im Herbst heiratete mein Bruder. Ich habe darüber schon in dem Kapitel “Mein Bruder” geschrieben.


Auf  dem  Weg nach Davos  hatten  wir ein Problem mit unserem Opel, das man in einer kleinen Werkstatt unterwegs provisorisch  beheben  konnte;  wir  mussten  dann  aber am nächsten Tag, einem Samstag, unser Auto in eine Werkstatt in  Davos bringen. Dort hatte man einen entsprechenden Verschluss für den Ölbehälter.


Und ein Jahr später besuchten wir Gernot und Susanne ein paar Tage lang in ihrem neuen Heim in Sigriswil oberhalb des Thuner Sees im Berner Oberland.

Wir fuhren an einem Sonntagnachmittag im Herbst los, nach unseren Schützenverein-Verpflichtungen. In Bad Kreuznach und Bingen war es  lausig kalt und regnerisch. So hatten wir vor allem wärmere Kleidung eingepackt.


Am Abend kamen wir wohlbehalten an. All die Tage, die wir dort verbrachten, war das Wetter traumhaft. Ich erinnere mich noch, dass wir einmal des Nachts bis gegen 4 Uhr in der Früh auf dem Balkon sassen - bei 20 Grad.

Da ich kaum dünnere Kleidung mitgenommen hatte, lieh mir Susanne noch ein T-Shirt.


Wir fuhren einige Male nach Grindelwald, einmal mit der Gondelbahn auf den Männlichen und liefen dann zur Kleinen Scheidegg, von wo wir mit der Zahnradbahn wieder nach Grindelwald zurück fuhren.


Einmal, an Gernots freiem Tag, wollten wir eigentlich auf einen Berg auf der anderen Seite des Thuner Sees. Aber wie so oft kam mein Bruder mal wieder nicht in die Puschen; der Ausflug wurde zwar nicht abgesagt, aber doch abgekürzt.


Wie schon im Kapitel über meinen Bruder angedeutet, benahm er sich für unser Empfinden sehr befremdlich. Er wollte seiner Frau zeigen, wie jugendlich er noch war mit seinen 31 Jahren. Auf uns wirkte das eher lächerlich. Wir enthielten uns jeden Kommentars, amüsierten uns nur darüber.


Kinder deuteten sich noch nicht bei ihnen an - genauso wenig wie bei uns.


Nachdem der Verwaltungssitz meiner bisherigen Firma in Bad Kreuznach aus Kostengründen mit dem Produktionssitz in der Pfalz zusammengelegt worden war, die Mitarbeiter nun jeden Morgen mit einem Kleinbus dort hin gefahren wurden, war eine Halbtagsarbeit nur noch schlecht möglich. Deshalb hatte ich gekündigt.


Seit Anfang 1980 arbeitete ich im St. Franziska-Stift in Bad Kreuznach. Ganz ungewöhnlich für eine Protestantin, in einem katholischen Krankenhaus zu arbeiten, in dem noch Ordensschwestern die Pflege leiteten. Aber der Verwaltungsleiter hatte bei einem Vertretungseinsatz meine Fähigkeiten der Protokollführung kennen gelernt - und er schuf für mich eine Stelle, die es vorher gar nicht gab.

Ich arbeitete in verschiedenen Bereichen: als seine Sekretärin, als Vertretung für Sekretärinnen der Chirurgie und der Inneren, dazu später auch als Vertretung für die Buchhalterin, und ich bekam die neu geschaffene Stelle einer Leiterin des Zentraleinkaufs einschl. Kostenrechnung, ebenso hatte ich die Verwaltung des Zentrallagers inne. Ich hatte also einen sehr abwechslungsreichen und interessanten Posten.


Als ich mich einem kleinen gynäkologischen Eingriff unterziehen musste, stritten sich die Schwestern der Gynäkologischen und der Entbindungs-Station, wo ich denn nun mein Zimmer bekommen sollte. Als ich das erste Mal stationär dort war, wurde ich an meinem Geburtstag operiert - und entsprechend gefeiert.

Und mein Ehemann verprasste inzwischen unser Geld, indem er jeden Tag zum Essen in ein Restaurant ging, denn Kochen war nicht sein Ding. Er ließ sogar noch Wasser anbrennen.

Als ich ein Jahr später dann wieder so einen kleinen Eingriff hatte, übernahm mein Sohn das Kochen. Er kam jeden Nachmittag nach der Schule zu mir, und wir beredeten, was er zum Abendessen machen könnte.

 

 






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