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Der besondere Hefekuchen
Auch wenn Frieda im allgemeinen fürs Kochen und Backen zuständig war - den sonnabendlichen Hefekuchen bereitete meine Großmutter.
Und es begab sich, dass irgend jemand in der erweiterten Familie einen entzündeten Finger hatte. Solche “Umläufe” behandelte man mit einem alten Hausmittel: Bäder in Kernseifen-Lauge. Und diese Lauge stand dann ständig am Rand der Platte des Holz-/Kohle-Ofens in der Küche in einem emaillierten Becher, um sie warm zu halten.
Und einen zweiten solchen Becher mit dem Hefe-Ansatz stellte meine Großmutter daneben.
Und es kam wie es kommen musste: Sie gab erst mal statt des Hefe-Ansatzes die Seifenlauge in den Kuchen; als sie es bemerkt hatte, auch noch die Hefe.
Der Kuchen wurde beim Bäcker gebacken - und er gelang sogar!
Und da mittlerweile alle wussten, was passiert war, und natürlich den Seife-Hefe-Kuchen probieren wollten, war an diesem Samstag der Kuchen erheblich schneller aufgegessen als in jeder anderen Woche.
1959 - 1962
Meine erste Periode bekam ich erst sehr spät, erst als ich fast 14 war. Wie gesagt, ich wusste von nichts, war völlig überrumpelt von dieser Tatsache. Die “Aufklärung”, die ich daraufhin von meiner Mutter erhielt, war natürlich keine. Sie erklärte mir, dass ich “nun bald eine richtige Frau sei”, besorgte mir Damenbinden, ... und das war es dann.
Sehr lange Zeit schämte ich mich für diesen natürlichen Vorgang, und es dauerte viele Jahre, bis ich über körperliche, eigentlich ja natürliche Vorgänge sprechen konnte. Das führte zu den absurdesten Vorfällen, die jenseits allen gesunden Menschenverstandes lagen.
So hatte ich Hemmungen, nach der Toilette zu fragen. Und wenn ich meine Periode hatte, dann zögerte ich - wie blöd! - den Gang dorthin und den Wechsel der Damenbinde so lange wie möglich hinaus, aus Angst, ich könnte durchgeblutet haben. Und gerade durch mein Verhalten führte ich dies doch herbei!
Dadurch kam es einmal bei einem Sängerfest, als ich dann schon im örtlichen Gesangverein mitsang, dazu, dass ich auf der Bühne während unseres Vortrages die Blase entleeren musste, man kann schon sagen, sie sich selbst entleerte, da ich vorher in fröhlicher Runde in einer Kneipe mich nicht getraut hatte, zur Toilette zu gehen. Was habe ich mich geschämt!
All diese Dinge, also einmal die sexuellen Belästigungen durch den Knecht, wie auch meine körperlichen Umstellungen, trugen wohl dazu bei, dass meine schulischen Leistungen nachließen. Heutzutage würde man vielleicht nach den Ursachen forschen; aber damals wurde das ganz einfach auf Faulheit, Dummheit geschoben. Und eine Klasse wiederholen, also diese Schande!, das dann doch nicht!
Dazu kam, dass nun - wie schon erwähnt - die Schwester meiner Mutter und deren Mann ihren Bruder/Schwager für tot erklären ließen und ihr Erbe einforderten. Eine ungeheure finanzielle Belastung für meine Eltern!
Also kam es wie es kommen musste: Ich musste das Gymnasium verlassen. Denn meine mangelnden Leistungen und die Zahlung eines Schulgeldes ließen sich nach Friedas Ansicht nicht miteinander vereinbaren. Natürlich fiel auch (zu meiner Freude) der Klavierunterricht diesen Sparmaßnahmen zum Opfer.
Immer wieder, schon während der Schulzeit, jedoch auch später noch, versuchte ich des öfteren, ein Tagebuch zu führen, ihm meine Gedanken anzuvertrauen. Aber Frieda war immer auf der Suche, sie fand sie regelmäßig, nahm sie mir weg, beschimpfte mich deswegen. Sie warf sie aber nicht weg, sondern sie verwahrte sie in ihrem Kleiderschrank - wo ich sie nach ihrem Tod dann fand.
Als ich 14 war, machte mir Frau T. (von einer der Familien aus dem Ruhrgebiet, die immer noch ihre Urlaube bei uns verbrachten) einen “Heiratsantrag”! Bei einem gemeinsamen Spaziergang offerierte sie mir ihren Sohn Manfred, der - glaube ich - ein oder zwei Jahre älter war als ich, als zukünftigen Ehemann.
Wie ich viel später einmal erfuhr, hatte sie darüber auch zumindest mit Frieda gesprochen.
Trotzdem wurde ich, als ich 15 Jahre alt war, während der Schulferien zu dieser Familie nach Schwerte geschickt. Aber ich besuchte während dieser Zeit auch die andere Familie in Unna, die mich am Samstagabend mitnahm zu einer Tanzveranstaltung; dafür hatte mir ihre Tochter Ännchen ein Kleid geliehen.
Mein Zimmer hatte ich mit Fotos von SchauspielerInnen und SängerInnen dekoriert, von einigen hatte ich brieflich Autogramme erbeten - und auch bekommen. Und ich hatte BRAVO-“Puzzles”: lebensgroße Aufsteller von Peter Kraus, Conny Froboess und Elvis Presley.
Einmal war Tante Hilde aus Berlin zu Besuch mit Helmut, dem Jungen, der den Selbstmord seiner Eltern 1945 überlebt hatte. Helmut war sehr beeindruckt; und er fragte sie, ob er mich denn heiraten könne, wegen der Verwandtschaft. Sie sagte ihm, dass das nicht ginge, weil der männliche Teil eines Paares immer intelligenter sein solle als der weibliche. Helmut hatte von dem überlebten Gift-Selbstmord einen kleinen Intelligenz-Schaden behalten.
Ein wöchentlich stattfindendes Ereignis waren die Proben des örtlichen Gesangvereins. Im Winter lieferte der Bäcker dazu Laugenbrezel - die besten, die ich je gegessen habe. Zuerst sang ich im Sopran, später, nach meiner Scheidung, dann Alt. Und die anderen “Alten” stritten fast darum, wer neben mir sitzen durfte, denn ich konnte im Gegensatz zu den anderen Noten lesen und vom Blatt singen. Und wenn der Dirigent mal bei einem “Auftritt” fehlen musste, dann durfte ich den Chor dirigieren.
Wie gesagt: Ich musste nach der Mittleren Reife die Schule verlassen. Für eine Versagerin wie mich wollte meine Mutter kein Geld mehr ausgeben, außerdem gab es ja einige andere Verpflichtungen.
Nach dem desaströsen Versuch einer Lehre in einer Drogerie, wo ich Morgen für Morgen voller Angst hin ging, erreichte es mein Vater, dass ich eine Handelsschule in Bingen, die neu gegründet worden war, besuchen konnte.
Dort gefiel es mir! Obwohl es ein sehr weiter Schulweg war: Um 6 Uhr in der Frühe musste ich aus dem Haus, mit dem Fahrrad nach Sobernheim, wo ich das Fahrrad in einer bahnhofsnahen Gärtnerei unterstellen durfte. Dann fuhr ich mit dem Zug nach Bingerbrück, und musste noch ein ganzes Ende zu Fuß bis zur Schule in Bingen gehen.
Wir waren nur 6 Schüler in der Klasse. Herrlich! Ein Wermutstropfen war natürlich auch dabei: Wenn ich von meinen Mitschülerinnen eingeladen wurde, durfte ich nicht hin. Denn: Feiern und Übernachten bei irgend-welchen fremden Menschen, die ihr nicht bekannt waren - das dann doch nicht!
Auch das Angebot eines Ministeriums in Mainz, nach Abschluss der Schule dort zu arbeiten, durfte ich nicht annehmen. Frieda wollte mich unter ihrer Kontrolle haben.
Einmal in dem Jahr dort in der Handelsschule, veranstalteten wir einen “Wandertag”, einen gemeinsamen Ausflug per Fahrrad, und der führte - zu uns nach Hause. Eine gehörige Strecke, 30 km, also 60 km hin und zurück. Aber ich “durfte” dann zu Hause bleiben; obwohl ich gerne wieder mit zurück nach Bingen gefahren wäre, und es eher so empfand, dass ich zuhause bleiben “musste”.
Damals meinte man, es wäre “cool”, wie man heute sagt, oder schick, und man fühlte sich erwachsener, wenn man rauchte. Also machte ich den Versuch auf dem Heimweg von der Handelsschule im Zug von Bingerbrück nach Sobernheim. Gott, war mir schlecht! Hätte ich es nur daraufhin gelassen!
Aber das tat ich leider erst 45 Jahre später, als ich dann nicht mehr einsah, jeden Monat 150 - 200 mittlerweile Euro in die Luft zu blasen. Und mit Unterstützung einer Hypnosetherapeutin, die mir auch bei der Bewältigung meines extremen Lampenfiebers geholfen hatte, schaffte ich es ganz ohne Probleme.
Während dieser Zeit in der Handelsschule kam auch Yolande aus Revin zu Besuch. Sie passte eigentlich gut zu Frieda, war genauso “gut französisch” wie Frieda “gut deutsch” war. Yolande (mein Vater amüsierte sich immer schon köstlich über diesen Vornamen, da es wohl mal einen Film gegeben hatte, in dem ein Schwein so hieß) - also Yolande weigerte sich beharrlich, Deutsch zu sprechen, obwohl sie ja sicher genauso lange diese Sprache in der Schule lernte wie ich Französisch. Da war nichts zu machen!
Einmal machte ich mit ihr einen Ausflug nach Bingen, wir trafen dort eine Schulfreundin aus der Handelsschule, und eigentlich wollte ich mit ihr auch nach Rüdesheim und zum Niederwald-Denkmal. Aber da weigerte sich Yolande beharrlich. Ich und meine Freundin wussten damals (noch) nicht, dass dieses Denkmal zum Andenken an einen Sieg der Deutschen über die Franzosen im Krieg 1870/71 erbaut worden war. Sie wusste das schon!
An einem Sonntag während ihres Aufenthaltes bei uns kamen ihre Eltern, ein Onkel und eine Tante von ihr zu Besuch. Frieda weigerte sich strikt, mich ins feindliche Frankreich reisen zu lassen, also bekam ich einen Pulli geschenkt, genau so einen, wie Yolande ihn trug, und der mir immer so gut gefallen hatte.
Und anschließend hatten wir keinen Kontakt mehr zueinander.
Ich arbeitete nach Abschluss der Schule im Büro einer Großhandelsfirma in Bad Kreuznach, deren Familie aus Waldböckelheim stammte und Frieda bekannt war.
Ich genoss es, mein selbstverdientes Geld für schöne Dinge auszugeben! So z. B. für einen Stockschirm, der doppelwandig gearbeitet war, außen uni dunkelrot, innen weiß mit roten Punkten. Teuer war er: 65 DM kostete er. Aber er überlebte vieles; auch die Beziehung zu K. und die Scheidung von ihm, und noch viel mehr. Erst ein Kollege brach dann Ende der 60er Jahre bei einem Blödsinn im Büro den Handgriff des Stockes ab. Schade.
Und Schuhe kaufte ich, die ich mir eigentlich gar nicht leisten konnte. Meist im Schuhgeschäft der Eltern meiner Schulfreundin Waltraud. Manchmal kosteten sie bis zu 150 DM, also meinen ganzen Monatsverdienst.
Und ich hatte wohl meine Freude daran, den spießigen Dorfbewohnern zu zeigen, wie spießig ich sie fand. Ich erinnere mich, dass ich mal im Sommer mit dem Bus von meiner Arbeit in Bad Kreuznach gegen Abend nach Hause kam. Ich trug einen schmalen hellen, längsgestreiften Rock und eine weiße Bluse, die hinten geschlossen wurde. Komisch, wie man manche Dinge nach so vielen Jahren immer noch vor Augen hat, als wären sie gestern passiert.
Auf Höhe des Nachbarhauses der Familie M., die ich schon mal erwähnt hatte, fuhr ein Auto an mir vorbei, der mir unbekannte Fahrer hupte, Frau M. fragte: “War ER das?” Und ich antwortete: “Nein, das war nicht ER, das war der andere.” Schlagfertig war ich!
Auch mit meiner Kleidung provozierte ich gerne. So kaufte ich mir, ich werde 16 oder 17 Jahre alt gewesen sein, einen sommerlichen rosa Hosenanzug, die Hose nabelfrei, die weiße Bluse mit rosa Stickerei endete kurz unter dem Busen. Sonst hätte sich niemand in Steinhardt getraut, so etwas zu tragen. Und wenn ich das heute im Freundeskreis erzähle, dann wundern die sich, dass es so etwas damals überhaupt schon gab.
An dieses Outfit erinnerte ich mich vor einigen Jahren als ich im Winter mit der S-Bahn nach Obertshausen zum Klarinetten-Unterricht fuhr. Ein hübsches junges Mädchen setzte sich mir gegenüber. Sie trug Grün und Pink. Blonde Haare, die Spitzen pink, Mütze in grün-pink, passend zur dicken Cordjacke. Ein bisschen gepierct war sie auch. Und ich dachte so für mich: “Wenn es damals schon Piercing gegeben hätte, vielleicht hätte ich mir dann sowas auch machen lassen. Einfach als Provokation.” Und ich musste die junge Frau freundlich anlächeln - wo andere in meinem Alter sicher den Kopf geschüttelt hätten.
Besonders eines machte mir Kummer: meine Körpergröße - eigentlich ja Körperkleine. Ich erreichte nur 160 cm und wäre doch gerne wenigstens ein bisschen größer gewesen. Aber leider war da nichts zu machen, und auch meine Eltern waren nicht groß gewachsen. Heute sind es nicht mal mehr diese 160 cm - jedoch belastet es mich schon lange nicht mehr.
So wie Herbert für meine Ausbildung in der Handelsschule gesorgt hatte, so sorgte er auch trotz eigener finanzieller Sorgen dafür, dass ich in Sobernheim die Tanzschule besuchen konnte. Denn: Abends fuhr ja kein Bus mehr von Sobernheim nach Steinhardt, und ein Auto hatte er (noch) nicht.
Also setzte er sich erst mal mit den Eltern meiner Schulfreundin Inge M. in Verbindung, evtl. sollte die auch die Tanzschule besuchen, und ich hätte bei ihr übernachten können.
Aber es fand sich eine andere Lösung: Ein Junge aus Steinhardt, ungefähr im gleichen Alter wie ich, wollte auch Tanzen lernen, und sein älterer Bruder holte uns mit dem Auto in Sobernheim ab. Wenn das mal nicht möglich war, dann teilten wir uns eben die Kosten für ein Taxi.
Beim Abschlussball war ich die Ball-Königin und führte zusammen mit meinem Tanzpartner, einem früheren Schulkameraden vom Gymnasium, die Polonaise und den Wiener Walzer an. Und Herbert feierte den ganzen Abend ein fröhliches Fest, so recht nach seinem Geschmack. Feiern ließ er sich nie entgehen.
Leider musste ich in meiner “Position” auch mit dem Tanzlehrer tanzen - ein Bild für die Götter!
Die Tanzlehrerin war eine ältere Dame; mittlerweile hatte einer ihrer Söhne den Posten ihres nun kränklichen Mannes als Tanzlehrer übernommen. Nur: Diese Herren waren entsetzlich groß, also mindestens 2 m, wenn nicht mehr. Und dazu dann ich “Gutsje”, die Kleinste von Allen, mit ihren gerade mal 160 cm. Wie gesagt: Ein Bild für die Götter! So sehe ich das heute, damals war mir das einfach nur peinlich.
Mein Vater hatte wegen der Verbindlichkeiten und der nicht mehr so gut gehenden Gastwirtschaft (viele hatten nun selbst zuhause Fernsehen und gingen nicht mehr so oft in die Kneipe) eine Arbeit angenommen, erst bei einer Baufirma, dann in einer Fabrik bzw. Gesenkschmiede, deren Inhaber mit uns verwandt waren.
Samstags nach Arbeitsschluss (die Arbeiter wurden mit einem Firmenbus gefahren) kamen oftmals alle noch mit in unsere Gaststätte.
Und Frieda hatte bald einen Mann nach ihrem Geschmack für mich ausgeguckt. Entschuldigt, aber eine Puffmutter hätte das wohl genauso gemacht. Sie wollte nun die Herrschaft über mich an einen ihr genehmen Mann abtreten:
Es war ein Arbeitskollege meines Vaters, Elektriker, vielleicht so ungefähr 25 Jahre alt.
Ich erinnere mich noch an einen Vorfall, der sich auf der Treppe vom Haus in den Hof abspielte: Ich war gerade von der Arbeit gekommen, wollte einfach meine Ruhe haben. Sie störte sich an meinen hochhackigen Schuhen, und ich sollte gleich etwas essen. Ich wollte weder meine schicken Schuhe ausziehen, noch wollte ich zu diesem Zeitpunkt etwas essen.
ER zog mir mit ihrer Hilfe die Schuhe aus und holte mir ein Brot mit Leberwurst aus der Küche, und sie zwangen mich, das zu essen!
Als ich eine neue Zimmereinrichtung bekommen hatte, musste ich ihm auf ihr Geheiß das Zimmer zeigen, mit dem Ergebnis, dass er seinen Schniedel heraus holte und von mir verlangte, ihn anzufassen. Besonders eklig für mich, die ich ja KEINE Ahnung hatte, die ich vollkommen unaufgeklärt war. Aber sicher wäre das für jede andere auch eklig gewesen.
Frieda lud ihn dann zu meinem 17. Geburtstag ein. Er hatte sich das Auto des Chefs geliehen. Mir war mittlerweile sehr unwohl in seiner Gegenwart. Ich denke, junge Leute sollten anders miteinander umgehen. Frieda meinte, wir könnten doch noch zusammen wegfahren, “ausgehen”.
Die Fahrt zum “Ausgehen” führte in einen Waldweg, wo er mich im Auto entjungferte. Ich muss heute noch grinsen bei der Vorstellung an die hellgrauen Autositze des Mercedes seines Chefs, die voller Blut waren. Was musste er am nächsten Tag putzen! Zum Glück hatte ich kaum Schmerzen bei der Entjungferung. Wie gesagt - ich hatte keine Ahnung; noch nicht einmal der Begriff “Entjungferung” bzw. “Jungfrau” war mir geläufig. Da ich auf seine Frage danach nicht reagierte, meinte er, ich hätte wohl gerade meine “Tage” bekommen.
Frieda reagierte auf mein mit Blut getränktes hellgrünes Kleid mit der Bemerkung: “Ach, schade, dass du dir Cola übers Kleid gegossen hast.” Dass sich der Schaden am Hinterteil des Kleides befand, hatte sie wohl übersehen.
Ach so, ja: Der besagte Elektriker ließ sich nicht mehr blicken.
Dann fand, aus welchem Grund auch immer, ein Tanz-Abend in Sobernheim statt, zu dem meine Eltern mich mitnahmen. Herbert knüpfte wieder Kontakte. Diesmal mit dem Vater einer früheren Schulkameradin von mir, dem Vorsitzenden des Sobernheimer Tennis-Vereines. Ab sofort ging ich also zum Tennisspielen. Auch wenn das kein Sport war, der mir zusagte. Aber der Vorsitzende förderte mich sehr, denn auch er wollte mir an die Wäsche.
Ich weiß nicht, doch manchmal kommt es mir so vor, als ob junge Frauen, die sich nach Zuwendung sehnen, weil sie die zu Hause nicht bekommen, einen besonderen Duft aussenden, den nur Männer wahrnehmen können, und der signalisiert: Hier hast du eine Chance. Diese Frau ist leicht zu haben.
Später dann begab es sich, dass dieser Mann, Inhaber eines Ladens, wohl dem Finanzamt Geld hinterzogen hatte (ja, auch das gab es damals schon!). Als der Gerichtsvollzieher dieses Geld eintreiben wollte, ging der Ladenbesitzer in den Keller seines Geschäftes und versuchte, sich zu erhängen. Aber es blieb beim Versuch, der Gerichtsvollzieher fand ihn rechtzeitig (obwohl das je nach Sichtweise auch anders ausgelegt werden kann).
Da eine Nachbarstochter sich mit einem Gastwirtssohn in Staudernheim verlobt hatte (obwohl sie ganz andere, viel bessere Chancen gehabt hätte, wie Frieda sagte), und während der Kirmestage dort in der Gaststätte mit großem Saal aushalf, durfte ich mit ihr hinfahren. Ich machte schnell die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der bei der neu etablierten Bundeswehr in Sobernheim war.
Ganz unerwartet spielte die Kapelle einen Twist - der neueste Schrei aus Amerika, und ich hatte das schon mal im Fernsehen gesehen. Und wir tanzten Twist - und der Saal stand Kopf, sozusagen; jedenfalls war es so, dass dieser junge Mann und ich tanzten während alle anderen Tanzpaare um die Tanzfläche herum standen und klatschten.
Am späten Abend / frühen Morgen dann brachte mich dieser junge Mann nach Hause, zu Fuß! 3 km nach Sobernheim, von da nochmal 3 km bergauf nach Steinhardt. Und das nach einer solchen durchtanzten Nacht! Gott, was waren wir fit damals!
Und alles ganz brav! Mit diesem jungen Mann hätte ich sicher ein ruhiges Leben führen können. Aber wer will schon ein Leben lang ein ruhiges Leben?!
Eine ganze Weile kamen einmal in der Woche einige amerikanische Offiziere in unsere Gaststätte. Herbert bewunderte besonders das Auto eines der Herren, einen Pontiac, wie ich noch weiß, und durfte ihn sich auch “hautnah” anschauen. Und ich hegte eine gewisse Hoffnung, wie Ihr Euch denken könnt. Auch wenn so ein Verhältnis von Frieda wohl nicht geduldet worden wäre, denn lt. Großmutter waren DIE und Mr. Churchill ja Schuld an dem Untergang der Nazis. Aber es wurde nichts daraus:
Eines Tages war ich nicht zu Hause als diese Herren kamen, Herbert wohl auch nicht, es war an einem Tag im Juli; die Monteure von Siemens, die die Telefonanlage der BW-Kaserne warteten, und die bei uns wohnten, stach der Pfeffer. Sie äußerten sich wohl sehr despektierlich über die Amerikaner, wie ich später erfuhr. Diese Offiziere kamen ab sofort nicht mehr; und der Traum von der großen weiten Welt war für mich erst mal ausgeträumt.
Einige Zeit danach (1962) lernte ich im Schwimmbad in Sobernheim K. kennen. Alle Mädchen wollten ihn - ich bekam ihn - leider!
Frieda war begeistert. Endlich ein Mann nach ihrem Geschmack! Sie war echt stolz, dass nun Tag für Tag ein Auto mit HH-Kennzeichen vor ihrem Haus parkte - und nahm es fast persönlich, als dann das Auto nach einer gewissen Zeit umgemeldet werden musste.
K. war Angehöriger dieser schon erwähnten neu gegründeten BW-Einheit in Sobernheim, von Beruf Kfz.-Mechaniker, daher in der Kfz-Staffel eingesetzt.
Es schien alles in Ordnung zu sein, auch wenn bei kleineren Streitigkeiten “unter Liebenden”, die ja gelegentlich mal vorkommen sollen, Frieda immer auf Seiten von K. stand. Auch wenn sie, wie sie später mal monierte, ihm Wäsche kaufen musste, weil er da von Hause aus nichts vorzuweisen hatte; aber solche Kleinigkeiten waren mir als frisch verliebter Frau ja egal.
Ende Oktober des gleichen Jahres, an seinem Geburtstag, verlobten wir uns still und heimlich und ohne Feierlichkeiten, so wollte ich es: Eine “heimliche”, intime Feier, romantisch - so war meine Vorstellung. Ich Idiotin! Sicher hatte ich zu viele Liebesromane gelesen!
Der Einzige, der mich vor meinem übereilten Schritt warnte, war mein Kollege, Cousin meines Chefs. Aber ich war nicht bereit für Bedenken.
Irgendwann danach, jedoch wohl noch vor Weihnachten, es war bitter kalt, fuhren wir in seinem “neuen” gebrauchten DKW 3=6 (ach, was war das für ein tolles Gefährt!) zu seinen Eltern nach Hamburg. Sein Vater war ein “Herr”, Geschäftsführer der DSG in Hamburg-Altona, der im Cut zur Arbeit ging - seine Mutter ... sah für mich aus wie eine Schlampe: zottelige lange Haare, ungepflegtes Erscheinungsbild, selbst für mich Land-Ei! Ich war entsetzt! Was hat sie geprahlt mit ihrem Sohn, wie toll er war ... damals als sie ihn noch unter ihrer Aufsicht hatte; seine Privat-Klamotten (auch seine Unterwäsche) befanden sich alle in Hamburg in den Schränken, mussten dort bleiben, da duldete sie keinen Widerspruch. Ich war für sie nur ein kleines Nichts. Und so fühlte ich mich auch!
Beim gemeinsamen Frühstück am Sonntagmorgen suchte ich Zucker für meinen Kaffee - und nahm statt dessen Salz, das in einer Zuckerdose auf dem Tisch stand. Tapfer wollte ich dieses Gemisch zu mir nehmen - aber meine Schwägerin in spe hatte das bemerkt und erbarmte sich meiner.
Alles in allem fühlte ich mich dort nicht wohl. Da konnte selbst der gut aussehende Vater nichts dran ändern.
Einigermaßen wohl fühlte ich mich nur bei der Familie seiner Freunde Hans-Jürgen und Rena in Fuhlsbüttel. Da wurden auch meine schon damals vorhandenen Strick-Künste bewundert; K. trug so ein Werk von mir, was bei seiner Größe von 1,90 m schon eine gehörige Strick-Ausdauer voraussetzte.
Mit den beiden machten wir auch an einem Sonntag einen Ausflug nach Travemünde. Auf der Rückfahrt waren wir in einem Rasthaus; alle tranken Grog, genannt Eisbrecher - ich aß einen Eisbecher.
Vor Weihnachten dann, ich weiß, dass es nach einer BW-Weihnachtsfeier war, fuhr K. sein schönes Auto zu Schrott. Betrunken war er, klar. Und die Opernkarten fürs Staatstheater Wiesbaden für Undine von Lortzing landeten im Feuer.
Ich hatte Mühe, diese beiden Ereignisse zeitlich einzuordnen. Aber ich erinnerte mich, dass wir mit dem DKW in Hamburg waren und dass es saukalt war; und ich weiß auch noch, dass das mit dem Unfall nach einer feucht-fröhlichen Weihnachtsfeier war, und dass ich damals noch in der alten Großhandelsfirma arbeitete. Denn mein Chef meinte danach, ich hätte doch ihn anrufen sollen wegen der Opernkarten, dann wäre er mit seiner Frau nach Wiesbaden gefahren. Außerdem wäre ich ein Jahr später im 6. Monat schwanger gewesen und sicher nicht mehr in die Oper gegangen. Ich habe später auch nicht mehr in dieser Firma gearbeitet, es hätte also keine Gelegenheit mehr gegeben, dass mir Herr B. dies gesagt hätte.
Und in Hamburg waren wir gemeinsam dreimal: das erste Mal im Winter, dann im Sommer nach unserer Heirat, und dann noch einmal kurz nach der Geburt unseres Sohnes.
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