Teil 2 Seite 8

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Arbeit in einem Hotel


Wie schon vorher erwähnt: Ich lebte seit einiger Zeit im Rheingau, wollte mich ein bisschen auf eigene Füße stellen, um unabhängiger zu sein.

Und dann las ich im “Rheingau-Blatt” eine Anzeige: Die ältere Besitzerin eines kleinen feinen Hotels suchte eine Mitarbeiterin zu ihrer Entlastung. Das sprach mich an, dort bewarb ich mich und stellte mich bei der Dame vor.

Am folgenden Sonntagmittag stand der Mann dieser Dame vor der Tür und wollte mich auch inspizieren. Und dann bekam ich die Stelle.


Die Ausstattung des Hotels hörte mit zum Feinsten, das ich bis dahin je gesehen hatte. Die Inhaberin hatte dank des Reichtums ihres Weingutbesitzer-Ehemannes aus dem vollen schöpfen können. Der Boden des Aufenthaltsraumes, in dem auch das Frühstück gereicht wurde, bestand aus Florentiner Fliesen, darauf lagen echte Teppiche, dazu kam dann später noch eine 3 m lange Brücke aus Marokko.

Die Zimmer hatten keine Nummern, sondern waren nach örtlichen Weinbergslagen benannt, und jedes Zimmer hatte andere Bett- und Badwäsche.

Zu meinen Aufgaben gehörte morgens das Anrichten des Frühstückbüffets und das Eindecken der Tische. Das bedeutete aber natürlich auch, dass ich oft schon früh um 6 Uhr anfangen musste, denn wir boten Frühstück an ab 7 Uhr, und eine Stunde Vorlaufzeit bedurfte es, bis alles gerichtet war, und bei Frau S. durften die Tische nicht schon am Abend vorher eingedeckt werden. Meist telefonierten wir am Abend nochmal miteinander, und sie teilte mir mit, um wieviel Uhr der früheste Gast frühstücken wollte. Und es war z. B. auch meist an Feiertagen so, dass, wenn alle anderen länger schliefen, irgend so ein Dödel meinte, schon um 7 oder 7:30 Uhr frühstücken zu müssen.

Die Zeiten des Leerlaufes während der Frühstückszeit benutzte ich meist dazu, um mich um die Wäsche zu kümmern, denn der Raum mit den Waschmaschinen, Trockner und Mangel befand sich gleich neben der Küche.


Mit dem Herrichten der Zimmer hatte ich normalerweise nichts zu tun,  nur in Ausnahmefällen. Dafür waren zwei Frauen aus dem Ort zuständig. Aber ich musste sie anweisen, welche Zimmer schon frei waren, welche Gäste noch blieben, welche abgereist seien. Ich musste auch die Mappen in den Zimmern, die Briefpapier und Prospekte enthielten, kontrollieren auf die Vollständigkeit ihres Inhaltes, bis ich dann eine einfachere Handhabung einführte: Immer lag ein zweiter Satz Mappen im kleinen Büro, die Zimmerfrauen tauschten die Mappen aus, und ich kontrollierte sie dann im Büro. So musste ich normalerweise nicht durch alle Zimmer gehen. Aber es hatte eines kleinen Kampfes mit der Chefin bedurft, um das durchzusetzen. Auch sie handelte oft nach dem Motto: “Das haben wir noch nie so gemacht” bzw. “Das haben wir doch schon immer so gemacht”.

Manchmal, wenn Herr und Frau S. am Abend außer Haus waren, durfte ich das Haus hüten, was ich immer gerne tat. Ein Aufenthalt in solch schönem Ambiente war ein Genuss, zumal ich mich dann in den ans Hotel angrenzenden Privaträumen aufhalten durfte.


Es gab einige Verbindungspunkte zwischen dem Ehepaar S. und mir: ER hatte am gleichen Tag Geburtstag wie ich, das hieß, dass wir bei “normalen” Geburtstagen zusammen feierten mit einem kleinen Essen mit den Kollegen und Freunden, jedoch bei seinem 80. Geburtstag hatte ich alle Hände voll zu tun, denn mir oblag vieles der Organisation und auch das Kochen für ca. 50 Gäste, wobei dann auch noch am Nachmittag ein Imbiss für die Mitglieder des örtlichen Gesangvereins dazu kam. Und der vorgesehene Zeitplan wurde natürlich auch nicht eingehalten. Ich gestaltete die Menü- und Tischkarten, wobei sich dann Frau S. bis zur letzten Minute Zeit ließ mit der Tischordnung; sie hatte ein Problem: sie trank, und manchmal verschwand sie dann unverhofft, um ein Schläfchen einzulegen.


Sehr lange blieb auch der Herr Pfarrer, der es sich nicht hatte nehmen lassen, dem Jubilar persönlich zu gratulieren. Obwohl doch gerade Fastenzeit sei, wie er immer wieder betonte, als ihm Herr S. ein Glas Wein anbot. Nur als Herr S. dann eine Trockenbeerenauslese von Annodunnemals aus seinem Keller holte, konnte auch der Herr Pfarrer nicht mehr widerstehen - und Fastenzeit hin oder her - den ließ er sich nicht entgehen! Was natürlich dann bei dem notorischen Nicht-Kirchgänger, Herrn S., für bleibende Erheiterung sorgte; und natürlich erzählte er allen seinen Festgästen, die sich einen Teufel um die Fastenzeit scherten, von der Scheinheiligkeit dieses frommen Mannes.


Das Menü hatten die Tochter, mit der ich mich sehr gut verstand, und ich gemeinsam zusammengestellt. Auch bei ihr zu Hause kochte ich manches Mal bei Feierlichkeiten, und eine der Zimmerdamen übernahm den Service.


Ein weiterer Verbindungspunkt war, dass Frau S. aus Dresden stammte, und dort hatten sich die Beiden auch kennen gelernt. Er hatte damals, vor dem 2. Weltkrieg, dort eine Geschäftsstelle des väterlichen Weingutes geführt, sie war eine wirkliche “höhere Tochter”; ihr Vater war Küchenchef in einem Hotel, die Mutter arbeitete beim Roten Kreuz, beide kamen dann bei den Bombenangriffen auf Dresden ums Leben.

Herr und Frau S. hatten sich bei einem Tanztee kennen gelernt, den sie, damals 15jährig, mit ihren Eltern besuchen durfte. Sie war eine hervorragende Pianistin, die am Konser-vatorium studierte; von so profanen Dingen, wie Haushalt und Kochen hatte sie hingegen keine Ahnung. Herr S. war 10 Jahre  älter als sie, und die Beiden heirateten mit einer Sonder-genehmigung, als sie gerade mal 17 Jahre jung war.


Da sie, wie gesagt, von Kochen keine Ahnung hatte, kam ihr Vater zweimal wöchentlich zu ihr und ihrem Mann und bekochte die Beiden. Auch später hatte sie sich nur rudimentäre Fertigkeiten bei der Zubereitung von Speisen angeeignet. Schließlich hatte sie immer jemanden zur Hand, der das übernehmen konnte.


Nach dem Krieg musste sie sich dann im Rheingau einleben, was ihr sicher nicht leicht gefallen ist, zumal sie sich auch nicht sonderlich mit ihrer Schwiegermutter verstand. Und einige Male hatte sie, wie sie mir erzählte, dann nach Streitigkeiten ihre Kinder genommen und war zu Freunden gegangen.

Sicher war sie damals auch ein “Fremdkörper” in der ihr nicht vertrauten Umgebung gewesen: Die Großstädterin mit ihrem anderen Auftreten, ihrem extraordinären Äußeren, die sich für ländliche Verhältnisse doch sehr auffallend kleidete, die rauchte, sich die Fingernägel lackierte, kam sich sicher in den 40er und 50er Jahren im Rheingau wie ein Papagei zwischen Spatzen vor.

Ihre besten Freunde, die sie quasi aus Dresden mitgebracht hatte, wohnten in Frankfurt. Ich lernte sie irgendwann auch kennen und richtete für alle meist das Abendessen, wenn die Beiden z. B. zum Schafkopf-Spielen kamen und dann auch im Hotel übernachteten, was mir immer zum Dank einen 10-DM-Schein in meine Kitteltasche einbrachte; das versäumten sie nie.

In dem riesigen Wohnzimmer der Familie S. stand immer noch ein Flügel, obwohl sie wegen ihrer arthrotischen Finger schon seit längerem  nicht mehr spielen konnte; aber ihre Tochter, Technikfreak wie ich, hatte noch eine Tonaufnahme von ihrem Klavierspiel.

Einmal waren die alten Herrschaften nach der Wende nach Dresden gefahren; aber sie kamen enttäuscht wieder. “Das ist nicht mehr unser Dresden”, sagten sie.


Ganz besonders geliebt in diesem Haus wurde ich von Bienchen, ihrem kleinen schwarzen Pudel. Bienchen war blind; wie es passiert war, wusste keiner. Jedenfalls soll sie eines Tages in den großen Garten beim Haus hinaus gelaufen sein, wie so oft, und als sie zurückkam, konnte sie nicht mehr sehen. Aber in Haus und Garten kannte sie sich aus und kam gut zurecht.


Vom ersten Tag an hatte sie mich in ihr kleines großes Herz  geschlossen. Und wenn ich am Morgen ins Haus kam, stimmte sie ein großes Begrüßungsgeschrei an, so laut, dass sie oft die Gäste damit aufweckte. Nach Möglichkeit wurde sie deshalb von Frau S. in der Nacht ins Wohnzimmer eingesperrt, wo sie zwar dann auch “randalierte”, aber wenigstens die Gäste nicht wecken konnte. Und irgendwann dann, wenn das Frühstücksbüffet gerichtet war, sagte dann Frau S.: “Gudrun, nun gehen Sie schon und begrüßen Sie sie, damit endlich Schluss ist mit dem Geheule!”, ich ging ins Wohnzimmer und begrüßte die kleine Krawallerin; und dann war es gut, und Bienchen konnte wieder frei gelassen werden.


Herr und Frau S. waren beide etwas klein geraten, noch kleiner als ich, wogegen ihr Schwiegersohn, der Schwabe, sehr groß war. Eines Tages monierte er, dass im Wohnzimmer auf dem Türrahmen Staub lag, den natürlich Frau S. nicht sehen konnte. Sie ging raus, holte ein Staubtuch und drückte es ihm in die Hand.


“Große Tiere”, egal wie sie hießen, imponierten ihr nicht im geringsten. Eines Tages klingelte das Telefon, sie ging an den Apparat, jemand wollte ein Zimmer bestellen. Wir waren aber bis unters Dach belegt, sogar ihr privates Gästezimmer hatte sie schon verplant. Die Dame am Telefon meinte, das Zimmer sei aber für eine Person des Bundestages; wir hatten immer noch kein Zimmer frei. Dann meinte die Dame, das Zimmer solle für Frau Dr. Süßmuth sein; worauf meine Chefin antwortete: “Und wenn es für den Kaiser von China wäre hätten wir kein Zimmer mehr frei!”


Meist einmal im Jahr kam der Geschäftsführer des Atlantik in Hamburg mit einigen seiner Angestellten für 1 - 2 Tage zu Gast. Sie fühlten sich immer sehr wohl bei uns. Nicht nur, dass sie sich im Gästebuch sehr bedankten, hatten sie auch ein Lied geschrieben, das sie zum Abschied vortrugen mit Gitarren-Begleitung, und in dem eine ganze Strophe mir gewidmet war für meine Arbeit. Da wird man doch gleich ein paar Zentimeter größer.

Und der Geschäftsführer eines Sanatoriums im Sauerland, der mit ein paar Freunden übers Wochenende bei uns zu Gast war, schickte mir anschließend einen lieben Brief und einen riesengroßen Strauß Blumen.


Das sind so Highlights einer sowieso gerne gemachten Arbeit.


Herr und Frau S. waren viel gereist, hatten fast die ganze Welt gesehen. Und sie sagte einmal zu mir, dass sie sich überall in den Hotels etwas abgeschaut hatte, denn ein eigenes Hotel war immer ihr Traum gewesen. Aber nicht nur Positives hatte sie sich abgeschaut, sie wollte auch Negatives in ihrem Hotel vermeiden.

Auch noch während meiner Tätigkeit bei ihnen machten sie noch ein paar Reisen. Dann blieb das Hotel unter meiner und ihrer Tochter Fürsorge, wobei ich meist den “Frühdienst” übernahm und sie den “Spätdienst”.


Später dann, als ich meine eigene kleine Wohnung hatte, arbeitete ich ganztags dort; meist morgens im Hotel und nachmittags im Büro des Weingutes zur Unterstützung der Tochter. Wobei das natürlich auch von der Belegung des Hotels bzw. den anstehenden Büroarbeiten abhing; wenn z. B. in der Vorweihnachtszeit viel Wein in Geschenkpaketen verschickt werden musste, war ich fast ständig im Büro. Oder bei der Umstellung der Postleitzahlen von vier- auf fünfstellige Zahlen, was bei der Menge der Kunden auch eine Menge Arbeit bedeutete. Alles musste auch in die Kundenlisten im PC eingegeben werden.


Aber alles änderte sich, als dann zumindest Teile des Weinhandels auf Drängen des ungeliebten Sohnes an diesen übergeben wurden, der dann einen Angestellten in einem Büro im Haus etablierte. Ich erinnere mich noch gut daran, wie viele Streitigkeiten es darüber gab, welche Adressen nun wem gehören sollten.

Die Tochter und ich, wir waren immer davon ausgegangen, dass sie einmal das Hotel übernehmen würde, und dass ich dann als ihre “rechte Hand” weiter tätig sein würde, aber alles kam ganz anders:

Da Frau S. mit ihrer Tochter nicht so gut konnte, übergab sie  das Hotel an ihre junge Enkelin, die gelernte Hotelfachfrau war;  ungeachtet dessen, dass sie sich viele Male über deren Unzuverlässigkeit beklagt hatte und oft gesagt hatte, dass sie nie mehr  ihre Enkelin einstellen würde. So ändern sich die Ansichten manchmal.

Das bedeutete natürlich auch das Ende meiner Arbeit dort, denn die Enkelin wollte nun alles alleine bewältigen und brauchte keine “rechte Hand”.


Es dauerte dann nicht mehr lange, und der alte Herr verstarb. Dann stürzte die alte Dame die Treppe hinunter und zog sich einen Oberschenkelhalsbruch zu; und obwohl viele wegen ihres jahrzehntelangen Alkoholkonsums davon abrieten, setzte sich der ungeliebte Sohn durch und seine Mutter wurde operiert. Von dieser Operation erholte sie sich nicht mehr und verstarb ebenfalls.

Die Enkelin führt noch heute, nun als Inhaberin, das kleine Hotel.

Aber ich, ich war nun erst mal wieder arbeitslos.





Tante Elise kommt immer zum Schlachtfest


Zweimal im Jahr wurde ein Schwein geschlachtet, normaler-weise. Bei besonderen Ereignissen, wie meiner Konfirmation und meiner Hochzeit kam dann noch ein weiteres dazu, und auch ein Rind. Aber ich erzähle hier von den “normalen” Jahren.


Das war immer ein großer Aufwand. Es gab in der Kleinstadt Sobernheim (heute Bad Sobernheim) einen Metzgermeister, der sich darauf spezialisiert hatte, auf den Dörfern im Umkreis auf den Höfen Schlachtungen durchzuführen. Es lief so ab, dass er am ersten Tag am Nachmittag kam, um das Tier/die Tiere zu töten, dann wurde dieses  unter der Tenne aufgehängt und ausgeweidet, und am nächsten Morgen kam der Metzger dann, und die Zerkleinerung des Tieres und die Wurstelei nahm seinen Lauf. Und bei allem durften bzw. mussten wir Kinder helfen.

Schon vorher tagelang roch es im ganzen Haus nach Gewürzen, die in Mengen zerkleinert und gerieben werden mussten; der große Kessel in der Waschküche wurde frisch gescheuert; von Konservendosen, die bereits früher gebraucht worden waren, musste der obere Rand mit einer speziellen Maschine abgeschnitten werden, damit sie wieder verwendet werden konnten, um Wurst darin einzuwecken. Der ganze Haushalt war in Aufruhr.

Und besonders gespannt waren wir alle dann am frühen Abend, wenn der letzte Bus aus Sobernheim angekommen war: Kommt sie oder kommt sie nicht? Und so gut wie immer kam sie: Tante Elise, meist Tante Lieschen genannt, die Schwester von Friedas Mutter, die in Trier wohnte.


Für meine Neu-Leser, die den ersten Teil nicht gelesen haben: Tante Elise wurde 1882 geboren, war “verwachsen”: sie hatte einen rachitischen Buckel; sie heiratete (wurde verheiratet?) ihren Vetter Fritz Dietrich und hatte mit ihm 6 Kinder, von denen eines nach 3 Monaten verstarb, ein zweites mit 16 Jahren.


Wohlgemerkt: Keiner hatte ihr gesagt bzw. geschrieben, dass dann und dann geschlachtet werden würde, niemand hatte sie eingeladen. Sie “roch” das bis nach Trier.